In rekordverdächtig kurzer Zeit hat Hermann Gröhe einen Gesetzesentwurf präsentiert. Er will den Versand verschreibungspflichtiger Präparate unterbinden. Die Opposition spielt jedoch nicht mit. Wie bewerten Apotheker den Vorstoß des Gesundheitsministers?
„Die deutsche Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln verstößt gegen das Unionsrecht“, urteilte der Europäische Gerichtshof am 19. Oktober. Jetzt hat Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in Form eines Referentenentwurf zum Rx-Versandverbot geantwortet.
Durch zunehmende Marktanteile bei ausländischen Versendern sei eine Ausdünnung des Versorgungsnetzes zu befürchten, heißt es in der Begründung. Versandapotheken könnten diese Lücke nicht schließen. Vielmehr befürchten Gesundheitspolitiker regional erhöhte Preise für verschreibungspflichtige Präparate. Den Botendienst klammert Gröhe explizit vom Verbot aus. Bleibt als Wermutstropfen, dass er die von manchen Sozialdemokraten und Grünen bevorzugte Umstrukturierung apothekerlicher Honorare kategorisch ablehnt.
„Der Entwurf von Gesundheitsminister Gröhe hat mich sehr positiv überrascht“, sagt Dr. Christian Pacher zu DocCheck. Er ist Inhaber der Süd-Apotheke in Ingolstadt. „Einerseits, dass Herr Gröhe Wort gehalten hat und den Gesetzesentwurf trotz massiver Widerstände des Koalitionspartners und trotz massiver negativer Presse auf den Weg gebracht hat. Anderseits, dass der Gesetzesentwurf so klar und deutlich für die öffentliche Apotheke formuliert wurde.“ Bleibt das Urteil bestehen und kommt die deutsche Arzneimittel-Preisverordnung zu Fall, erwartet Pacher schwerwiegende Folgen: „Das betrifft sowohl die Zahl der Apotheken als auch den Umfang der Dienstleistungen, also etwa den Apotheken-Notdienst.“ Entwicklung der Gesamtzahl öffentlicher Apotheken in Deutschland. Quelle: ABDA Außerdem rechnet Pacher mit kritischen Modellen der Preisgestaltung. „Es gibt ja den Vorschlag, Apotheken auf dem Land könnten höhere Preise verlangen, wenn die Preisbindung wegfällt. Aber das heißt doch, eine ältere Frau auf dem Land, die vielleicht gar keinen Internetzugang hat, zahlt dann Höchstpreise, während der internetaffine Akademiker in der Großstadt Geld spart. Das ist zynisch.“
Auch Dr. Bernd Grünberg, Inhaber der Eber-Apotheke aus Ebersberg, beurteilt den Entwurf aus Berlin positiv: „Unser Bundesgesundheitsminister Gröhe hat schnell und kompetent seine Meinung zu Papier gebracht. Somit kann noch in dieser Legislaturperiode der Rx-Versandhandel verboten werden.“ Kleine und umsatzschwache Betriebsstätten hätten es seiner Meinung nach schon jetzt immer schwerer, ein gutes betriebswirtschaftliches Ergebnis zu erzielen. „Diese Apotheken sind wichtig, um eine flächendeckende Versorgung mit Arzneimtteln - auch in Dörfern - zu sichern“, ergänzt der Kollege.
Thomas Leitermann zufolge führt der Gesetzesentwurf – im Gegensatz zum EuGH-Urteil – deutlich vor Augen, „welche hochwertigen und unverzichtbaren Leistungen Tag für Tag in den Präsenzapotheken erbracht werden“. Leitermann ist Chef der Inn-Apotheke Mühldorf. „Der Großteil dieser Leistungen, wie das persönliche Gespräch mit dem Patienten, den niederschwelligen Zugang zu Gesundheitsfachleuten, die Entlastung der niedergelassenen Ärzte im Bereich der Selbstmedikation, aber auch die Erklärung kompliziert anzuwendender Arzneiformen, kann nur vor Ort und mit entsprechend qualifiziertem Personal stattfinden.“ Gröhes Gesetzesentwurf zeige, dass die „ordnungsgemäße Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln“ eben mehr sei, als nur Päckchen zu verschicken und eine Hotline anzubieten. „Dass der Gesundheitsminister hier schnell und konsequent handelt, eine durch kurzsichtiges Denken entstandene Schieflage im Wettbewerb zu beseitigen, ist in meinen Augen mehr als zu begrüßen“, resümiert Leitermann. Von der Politik fordert er generell stabile Rahmenbedingungen, damit auch kleinere Apotheken am Land oder in Stadtrandlagen überleben. Viele Apotheken würden geschlossen, da Inhaber keine Nachfolger fänden. Quelle: APOkix / Institut für Handelsforschung (IFH) Köln „Diesen Trend gilt es aufzuhalten“, ergänzt Leitermann. „Zum Glück sehe ich auch wieder engagierte junge Kollegen, die ihren Beruf gerne und hervorragend ausüben.“ Wichtig sei, dass Apotheken unabhängig vom ihrem Standort die Möglichkeit behielten, ihre Arbeit weiterhin gut zu machen.
Julia Lanzenrath und Friederike Zühl vom Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland (BPhD) zufolge handele es sich um eine „logische erste Konsequenz, die Beschränkung des Versandhandels auf rezeptfreie Medikamente“ einzuführen. Ihr Verband befürchtet ansonsten das Ende der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV), da sowohl deutsche Versandapotheken als auch Offizinapotheken gegen jegliche entstandene Inländerdiskriminierung vorgehen werden. Schreckgespenster wie die Höchstpreisverordnung sowie Rabattverträge zwischen einzelnen Apotheken und Krankenkassen kommen mit hinzu. „Nichtsdestotrotz wirft das Urteil einmal mehr die Frage auf, warum der Fokus in Apotheken noch nicht ausreichend auf die pharmazeutische Betreuung und die Entlohnung von pharmazeutischen Dienstleistungen gelenkt wird“, so Lanzenrath und Zühl. „Auch wenn ein Versandhandelsverbot mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln eine kurzfristige ordnungspolitische Lösung sein kann, müssen Apotheker langfristig ihre Kompetenz als Arzneimittelexperte herausstellen und die Politik die Rahmenbedingungen für patientenorientiertere Pharmazie in öffentlichen Apotheken schaffen.“ AMTS-Management und individuelle Betreuung sollten zur selbstverständlichen Honorarleistung werden.
Ähnlich bewertet Professor Dr. Reinhard Busse die Sachlage. Er leitet das Fachgebiet Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. „Ein Versandhandelsverbot wäre die falsche Antwort und entgegen den Bedürfnissen vieler chronisch kranker Patienten“, so Busse, „Das EuGH-Urteil sollte vielmehr dazu anregen, die Aufgaben für Apotheken und Apotheker sowie die entsprechende Vergütung zu reformieren.“
Nachdem sich Politiker nicht auf eine gemeinsame Linie einigen konnten, sprechen Befürworter und Gegner des Rx-Versandverbots gezielt Patienten an. Quelle: Xing / Screenshots: DocCheck Diese Argumente gehen an Gesundheitspolitikern aller Couleur nicht spurlos vorbei. Wie DocCheck erfahren hat, lehnen Sozialdemokraten Gröhes Referentenentwurf kategorisch ab. Sie priorisieren eine Konkretisierung des Paragraphen 129 im V. Sozialgesetzbuch („Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung“). Rechtlich möglich wäre, Rx-Boni im Sozialrecht ganz zu verbieten oder eine Obergrenze festzusetzen, ohne den Versand einzuschränken. Die Grünen halten wiederum an Honorarreformen fest – eine Idee, mit der sich SPD-Gesundheitsexperte Professor Dr. Karl Lauterbach auch anfreunden kann. Jetzt braucht Hermann Gröhe tragfähige Mehrheiten.