Eine neue Insulintablette könnte das Leben von Diabetikern bald einfacher machen. Forschern gelang die Entwicklung einer solchen Tablette, die die Passage durch den Gastrointestinaltrakt unbeschadet übersteht. Werden Insulinspritzen bald überflüssig?
Laut des deutschen Gesundheitsberichtes Diabetes 2017 sind aktuell allein in Deutschland 6,7 Millionen Menschen an Diabetes mellitus erkrankt. Eine beachtliche Zahl, wenn man bedenkt, wie die Erkrankung die Betroffenen in ihrem Alltag einschränkt. Ständig muss der Blutzuckerspiegel kontrolliert werden. Ist er nicht in Ordnung, muss die Insulinspritze nachhelfen. Doch viele Menschen haben Angst davor, sich die Spritzen zu setzen und auch die Umsetzung der Behandlung im Alltag ist nicht immer leicht. Bleibt der Blutzuckerspiegel allerdings längerfristig schlecht eingestellt, kommt es häufig zu Komplikationen und Folgeerkrankungen. Erblindung, Nierenschäden, Herz- und Gefäßkomplikationen oder Nervenschäden können auftreten. Auch das Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte erhöht sich deutlich.
Könnte die tägliche Insulingabe statt über Spritzen bequem durch eine orale Einnahme erfolgen, würde das vieles einfacher machen. Einer Forschungsgruppe der Harvard University gelang nun der Durchbruch. Erstmals wurde eine Insulintablette entwickelt, die das lästige Spritzen bald überflüssig machen könnte. Schon seit einigen Jahren beschäftigen sich verschiedene Wissenschaftler mit dem Thema. Doch mehrere Probleme hatten die Entwicklung einer solchen Tablette bisher verhindert. Die orale Verabreichung von Proteinen, wie Insulin, gestaltet sich deshalb so schwierig, weil verschiedene gastrointestinale Barrieren die Absorption der Makromoleküle verhindern. Zunächst zersetzt die Magensäure bei der Passage des Präparates das Hormon Insulin und macht es so unwirksam. Bereits 2017 hatten Forscher eine Insulin-Tablette an Diabetes-Patienten getestet. Aufgrund der dargelegten Probleme gelangte hier jedoch nur ein geringer Anteil des Insulins ins Blut und die Massenproduktion des Präparates wäre so aufwendig und kostenintensiv gewesen, dass die Forschungen an dem Projekt letztendlich eingestellt wurden.
Das Wissenschaftsteam um Samir Mitragotri hat es nun geschafft diese gastrointestinalen Barrieren zu umgehen. Sie entwickelten auf Basis ionischer Flüssigkeiten eine hochwirksame Insulinformulierung, die auch bei oraler Aufnahme wirksam ist. Die neuartige Pille wird von einer säurefesten Schutzschicht umgeben, so dass die Magensäure das Medikament nicht schädigen kann. Ist die Passage durch den Magen geschafft und die Tablette erreicht das alkalische Milieu des Dünndarms, löst sich die Schutzschicht auf. Die spezielle, ionische Flüssigkeit bestehend aus Cholin und Geraniumsäure sorgt für einen Strukturerhalt des Insulins, sowie eine verbesserte Aufnahme über die Darmschleimhaut. In-vivo zeigte das neue Präparat bei einer Verabreichung an Ratten sehr gute pharmakokinetische und pharmakodynamische Ergebnisse. Bereits bei Verabreichung kleiner Mengen konnte der Blutglukosespiegel deutlich gesenkt werden. Zudem wirkte die neue Pille mit einer Zeitspanne von 12 Stunden besonders lange.
Ein weiterer Pluspunkt der Tablette ist die hohe Biokompatibilität. So konnte das Präparat in einer Testreihe erfolgreich für zwei Monate bei Raumtemperatur und mindestens vier Monate unter Kühlung gelagert werden, ohne Schaden zu nehmen oder an Wirksamkeit zu verlieren. Das ist länger als manche handelsüblichen Insulin-Injektionslösungen derzeit gelagert werden können. Laut dem Forscherteam wäre außerdem eine einfache ebenso wie kostengünstige Herstellung der Tablette möglich. In weiteren Studien am Tier wollen die Forscher nun Langzeitverträglichkeit und Bioverfügbarkeit des Präparates testen, um zu sehen, ob sich die neuen Tabletten für eine Anwendung am Menschen eignen.