Ein bekannter Spruch bei der Venenpunktion zur Blutentnahme nach dem Motto „Aus den Augen aus dem Sinn“: Roshan Vijayan et al. aus dem „Milton Keynes General Hospital, NHS, Buckinghamshire, England, UK, versuchte bei 192 Patienten herauszufinden, ob es schmerzhafter ist, wenn die Gestochenen dabei zu- oder wenn sie wegschauen. Denn drei von vier Patienten schauen weg.
Die Randomisierung entbehrte allerdings jeglicher Logik: Ob ich nun sage „scharfer Pieks!“ oder kürzer frage „bereit?“ und danach erst zusteche bzw. die Patienten beobachte, langt für eine Randomisierung nicht aus. ["Methods - Patients were randomized to hearing ‘sharp scratch’ or the verbal cue ‘ready?’ immediately before venepuncture. Whether patients looked or looked away during needle insertion was recorded..."]. Vijayan R et al. Out of sight, but not out of mind? Greater reported pain in patients who spontaneously look away during venepuncture. Eur J Pain, online 30. Mai 2014
Den Mut, beim Stich in die eigene Vene direkt zuzuschauen, brachten 27% auf, während 73% ihre Blicke abwandten. Wie sich zeigte, litten diese Zuschauer signifikant weniger Schmerzen: Ihr Durchschnittswert auf einer numerischen Skala von 1 bis 10 (Maximalschmerz) lag bei 0,48 im Vergleich zu 0,94 bei den Wegschauern. Auf einer fünfstufigen verbalen Skala („kein Schmerz“ bis „schwere Schmerzen“) pendelten sich die Werte bei 1,27 vs. 1,61 ein. Vollkommen undiskutiert blieb, dass die vor dem Stich gegebenen Signale sich weder bei den Hinguckern noch bei jenen, die ihre Augen abwandten, auf das Schmerzempfinden auswirkten.
Die Studie berücksichtigte allerdings nicht, dass bei Kindern wie Erwachsenen (Cave - durchtrainierte und 'großmäulige' junge Männer bzw. filigrane, junge Frauen) mit oder ohne Zuschauen/Wegsehen beim 'Entrieren' der Kanüle in die Vene eine klassische vagovasale Synkope folgen könnte. Und als spezielle 'Belohnung' können sich die synkopal Betroffenen beim spontanen Wiedererwachen gar nicht mehr an Schmerzen erinnern ("wo bin ich?" - "ist alles schon vorbei?").
Die hier referierte Publikation diskutierte oder analysierte nicht mal ansatzweise, dass Hin- und Wegschauen auch ganz andere Ursachen, Effekte und Auswirkungen haben könnten. Wenn Patientinnen und Patienten schon selbst erfahren haben und w i s s e n, dass ihnen Venenpunktionen weh tun, werden sie sicherlich n i c h t nochmal extra hinschauen wollen. D e s w e g e n ist die Schmerzrate bei den "Wegguckern" höher als bei den "Hinguckern".
Die "Hingucker" sind eher das hart gesottene eine Viertel unseres Patienten-"Gutes", welches nicht nur bei Venenpunktionen, sondern auch bei Magen-/Darmspiegelungen, Hand- und Fuß-OPs unter Regionalanästhesie bzw. Wundnähten in Lokalanästhesie niemals etwas verpassen will. Bei der iliakalen Knochenmarkspunktion bzw. der Lumbalpunktion bedauern diese 27 von hundert Patienten auch noch, dass sie hinten keine Augen haben. ["Conclusions - Almost three quarters of patients spontaneously look away during venepuncture, but their pain ratings are almost twice that of the quarter of patients who look. It is unclear why this may be, but previous experimental studies indicate that observing the body when a noxious stimulus is applied can have an analgesic effect."].
Was mich bewogen hat, diese Arbeit aus dem "European Journal of Pain" hier in meinem DocCheck®Blog vorzustellen, war der britische Humor mit der Inversion des deutschen Sinnspruchs "Aus den Augen, aus dem Sinn" in der Titelzeile: "Out of sight, but not out of mind? Greater reported pain in patients who spontaneously look away during venepuncture".
Mit ihrem Resümee: „Drei Viertel der Patienten schauen während einer Venenpunktion spontan weg“… „Aber ihre Schmerzeinschätzung liegt fast doppelt so hoch wie bei jenem Viertel, das zusieht“ blieb aber auch Vijayan et al. s e l b s t völlig verborgen, ob denn die Zuseher nur deswegen zusehen, w e i l sie dann weniger Schmerzen haben, oder o b sie umgekehrt sowieso weniger Schmerzen haben, und d e s h a l b zusehen können?
Dass das bloße Zusehen beim Einstich bereits einen analgetischen Effekt haben könnte, wie die 3 Autoren krass postulieren, ist eine äußerst gewagte Hypothese. Ich persönlich kenne z. B. keinen einzigen Zahnarzt, der seine Patienten gezielt beim Setzen der Lokal- und Leitungsanästhesie zur Schmerzlinderung über einen Spiegel zusehen lässt.
Mf+kG, auch an die 'vernünftigen' Zahnärzte/-innen, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund
Bildquelle (Außenseite): Alex Bellink, flickr / CC-by