Der „Bad Guy“ der Pharmabranche, Martin Shkreli, macht Schlagzeilen: Er kauft kleine Firmen, die Arzneistoffe gegen seltene Erkrankungen herstellen. Dann treibt er den Preis pro Pille extrem in die Höhe. Jetzt zeigen Schüler, wie günstig sich diese Medikamente herstellen lassen.
Soziale Netzwerke kennen keine Gnade. Bei Twitter, Facebook & Co. avancierte Martin Shkreli zu einer der meistgehassten Personen Amerikas. Nicht ohne Grund: Der Ex-Chef von Turing Pharmaceuticals erwarb alle US-Vermarktungsrechte für Pyrimethamin (Daraprim®). Kurzerhand erhöhte er den Preis um 5.000 Prozent – von 13,50 Dollar auf 750 Dollar pro Tablette. Viele Patienten konnten sich das Arzneimittel daraufhin nicht mehr leisten.
Preise als reine Wirtschaftsentscheidung für Investoren: Martin Shkreli 2015 auf Twitter. Screenshot: DocCheck WHO-Experten stufen Pyrimethamin als lebenswichtigen Arzneistoff ein. Das alte Malariatherapeutikum hat seine Bedeutung noch lange nicht verloren. Ärzte setzen Pyrimethamin zusammen mit einem Sulfonamid bei Patienten mit geschwächtem Immunsystem ein. Infolge einer HIV-Infektion oder einer Chemotherapie kommt es zu Infektionen mit Toxoplasma gondii. Auch bei schwangeren Frauen hat sich die Kombination bewährt. Hohe Preise schieben Pharmakotherapien plötzlich einen Riegel vor. „Das ist hier kein Spaß, Herr Shkreli. Menschen sterben gerade“, sagte ein Kongressabgeordneter. Große Reaktionen zeigte der gescholtene frühere CEO nicht. Sein Verhalten zog weite politische Kreise. „Wer amerikanischen Familien ohne guten Grund Wucherpreise abknöpft, wird von mir zur Rechenschaft gezogen“, drohte Hillary Clinton im Wahlkampf. Doch Shkreli hatte Glück: Donald Trump ließ von pharmazeutischen Herstellern bislang die Finger. Jetzt bieten australische Schüler dem Pharmaboss die Stirn.
Dr. Alice Williamson, Forscherin an der University of Sydney, verfolgte die Kontroverse mit großem Interesse. Sie forscht seit einiger Zeit am Thema Open Source Drug Discovery. Ihr kam die Idee, das Thema mit Schülern im Chemieunterricht zu bearbeiten. Gesagt, getan.
Um seinen Reibach muss der Unternehmer nicht bangen. Nach einer spektakulären Verhaftung wegen vermeintlichen Anlagebetrugs bei einem Hedgefonds übergab Shkreli offiziell alle Geschäfte an Ron Tilles. Er zieht aber nach wie vor die Fäden im Hintergrund und erwarb Mehrheitsrechte an KaloBios. Über das angeschlagene Kleinunternehmen sicherte er sich alle US-Rechte an Benznidazol. Nur was führt der Manager im Schilde? Das Nitroimidazol-Derivat wirkt gegen Trypanosoma cruzi, den Erreger der Chagas-Krankheit. Selbst mit horrenden Preisen wird Shkreli kein Vermögen machen. Laut Zahlen der Centers for Disease Contol and Prevention (CDC) gab es US-weit seit 1955 nur sieben akute Fälle. Epidemiologen schätzen, dass pro Jahr weltweit 50.000 Menschen neu erkranken und 12.000 bis 15.000 sterben. Meist handelt es sich um Bewohner armer Länder Mittel- und Südamerikas.
Hinzu kommt, dass Benznidazol in den USA keine Zulassung hat. Außerhalb der Staaten werden Erkrankte kaum Berge von Geld für das Pharmakon ausgeben. Beantragt Turing Pharmaceuticals jedoch eine Zulassung, greifen Sonderregelungen für Arzneistoffe gegen seltene Erkrankungen. Der Konzern erhält von der FDA einen Priority Review Voucher. Mit diesem Gutschein räumen Zulassungsbehörden Herstellen Priorität bei einem anderen Pharmakon ein. Deshalb sind Priority Review Vouchers zur begehrten Handelsware geworden. Sie gehen teilweise dreistellige Millionenbeträge über den virtuellen Ladentisch. So ließ AbbVie 350 Millionen US-Dollar für ein Zertifikat von United Therapeutics springen – eine der bislang größten Summen, die je gezahlt worden sind. United Therapeutics wiederum bekam das Papier aufgrund eines Krebsmedikaments für Kinder. Mit seiner aggressiven Strategie zeigt Martin Shkreli vor allem, wohin ein unregulierter Markt führt – und welche gesetzlichen Schlupflöcher es gibt.