Mittwoch nachmittag. 13.30 Uhr. In der Apotheke steht eine Patientin, Frau Luna, eine nett aussehende ältere Dame: „Ist mein Rezept für die Stilnox schon gekommen?“
Ich schaue im Computer, auf dem Fax, in der Briefablage. Nix.
Pharmama: „Nein. Wann haben sie es beim Arzt verlangt?“
Frau Luna: „Heute morgen.“
Pharmama: „Soll ich anrufen und fragen, wo es bleibt?“
Frau Luna: „Nein, das mache ich schon selber. Ich komme später wieder.“
15 Uhr. Frau Luna ist wieder da.
„Moment“ sage ich „Ich habe noch nichts gesehen, aber … (suche) Nein. Es ist noch nichts hier. Soll ich nicht vielleicht anrufen?“
Frau Luna : „Noch immer nicht? Ja, bitte.“
Ich rufe beim Arzt an. Die Praxisassistentin hört sich genervt an. „Das Stilnox Rezept für Frau Luna? Der Arzt muss es erst noch ausstellen. Ich kann auch nicht zaubern. Er ist beschäftigt.“
Pharmama: „Okay, aber ich habe die Patientin hier in der Apotheke, die wartet. Stellt er es denn aus? Dann kann ich es vorher …?“
Praxisassistentin: „Das weiss ich nicht. Warten Sie, bis es kommt.“
Ich überbringe der Patientin die Nachricht.
Frau Luna: „Ich gehe etwas besorgen, ich komme später wieder.“
Wir haben viel zu tun, darum denke ich nicht weiter daran, bis er 17.15 Uhr ist … und Frau Luna wieder in der Apotheke steht.
Oh. Nein.
Das Rezept ist natürlich immer noch nicht gekommen.
Und ein weiterer Telefonanruf zeigt: Der Arzt ist jetzt auch nicht mehr in der Praxis.
Argh!
Und weil mir die Praxisassistentin auch keine Bestätigung gegeben hat, dass der Arzt das auch wirklich ausstellt – kann ich ihr das nicht einfach vorbeziehen.
Man kann sich vorstellen, wie „zufrieden“ die Patientin mit dieser Auskunft war.
Frau Luna : „Ohne diese Tabletten kann ich nicht schlafen. Sie (ja, ich) sind schuld, wenn ich eine schlaflose Nacht habe!“
…
Das Rezept kam dann am nächsten Morgen kurz nach 8 Uhr per Fax.
Danke vielmals.
Ein Dauerrezept für 12 Monate – was bei dem auch nicht möglich ist.
Ich informiere die Praxisassistentin, dass ich das als Dauerrezept aufnehme, aber nur für die maximalen 6 Monate. („Ja, ja.“).
Dann der Patientin telefonisch die gute Nachricht überbracht. Sie kam das dann am Nachmittag bei meiner Kollegin abholen.
Die hinterlässt mir einen Zettel – Frau Luna hat sich beklagt, sie war sehr unzufrieden mit uns, wie das gelaufen ist. Vielleicht sollten wir uns entschuldigen?
Hmpf.
Ich entschuldige mich nicht gerne für Dinge, die nicht wirklich meine Schuld sind. Aber ich behalte das im Hinterkopf – und noch bevor ich dazu komme den Brief zu schreiben … (ich weiss noch nicht, ob das ein Entschuldigungsbrief oder eher ein Erklärungsbrief geworden wäre) … kommt Frau Luna wieder in die Apotheke mit etwas ganz anderem (Hautarztrezept oder so).
Ich bediene sie und als wir fertig sind (sie ist die ganze Zeit gewohnt freundlich), spreche ich sie direkt auf die Sache die Woche vorher an.
„Frau Luna, wegen dem Stilnox-Rezept letzte Woche …“
Frau Luna: „Oh. Ja. Es tut mir leid. Als ich das abgeholt habe, da hatte ich eine üble Nacht hinter mir und war nicht so … Ich weiss ja, dass das nicht ihre Schuld war. Das ist nur diese Praxisassistentin bei dem Arzt. Wissen Sie, als ich angerufen habe das erste Mal am Mittag, da hat sie mir gegenüber behauptet, sie habe das schon gefaxt. Und als ich am Morgen noch einmal angerufen habe, da hat sie gesagt: ‘Ich habe es jetzt gerade geschickt’. Da sehen Sie, dass das das erste Mal nicht stimmte. Wahrscheinlich lag es auch an ihr, dass das am Nachmittag nicht kam und nicht am Arzt.“
Pharmama: (erleichtert): „Oh, okay.“
Frau Luna: „Und der Arzt – der verschreibt mir das sowieso. Schon seit Jahren. Der will mich nicht einmal sehen, um ein Rezept auszustellen. Wissen Sie, ich weiss, dass das ein problematisches Mittel ist und ich abhängig bin.“
Pharmama: „…“
Frau Luna: „Ich nehme auch nicht gerne Tabletten und auch nur eine halbe Tablette am Abend von diesen – aber im Moment kann ich nicht schlafen ohne. Ich will auch davon wegkommen. Haben Sie mir nicht etwas, das ich sonst noch versuchen kann? Etwas pflanzliches vielleicht?“
Zusammen mit ihr finde ich ein geeignetes pflanzliches Mittel und wir versuchen ein Abbauschema (ja, auch von einer halben Tablette aus).
Das Gespräch mit ihr war wirklich interessant. Sie ist ein ziemlich typischer Fall von jemandem der nicht beabsichtigt in die Abhängigkeit reingerutscht ist.
Frau Luna: “Als mir das ursprünglich verschrieben wurde hat der Arzt damals gemeint: ‘Diese Tabletten sind kein Problem, das sind keine Benzodiazepine, die abhängig machen’.“
Pharmama: „Ja, das hat man ursprünglich bei den Z-Wirkstoffen gedacht. Leider stellte sich dann heraus …“
„Frau Luna: „…dass das genau dasselbe Problem macht. Ich hab’s gemerkt.“
Pharmama.: „Wissen Sie, ich verstehe Sie gut – und auch ihre Reaktion am letzten Donnerstag. Ich bin sehr froh, dass wir geredet haben. Viel Erfolg mit dem Abbauen!“
Wie ihr geht es leider einer ganzen Menge vor allem älterer Leute. Aus einer einmaligen Verschreibung wegen einem eigentlich kurzfristigen Problem werden wiederholte Bezüge und Dauerrezepte. Je länger das geht, desto schwieriger wird es, auch weil eine Gewöhnung eintritt, man kann nicht nur ohne das Schlaf- oder Beruhigungsmittel sein, man muss auch mehr nehmen, damit es noch wirkt. Ein Riesen-Problem mit tausenden Abhängigen. Und den Patienten selber merkt man das oft nicht an – im Alltag funktionieren sie ja … problematisch wird es nur, wenn die Medikamente ausgehen. Siehe oben.