Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist der Vagustonus reduziert und der Sympathikustonus erhöht. Die Standardmedikation mit Betablocker und ACE-Hemmer zielt darauf ab, die adrenerge Überstimulation durch den Sympathikus zu hemmen. Durch Aktivierung des Parasympathikus bietet Ouabain eine alternative Möglichkeit, das vegetative Ungleichgewicht bei Herzinsuffizienz-Patienten zu beheben.
Das autonome Nervensystem reguliert alle lebenswichtigen Funktionen des Körpers, so auch die Herzfunktion. Es besteht zur Hauptsache aus dem sympathischen (Sympathikus) und dem parasympathischen Nervensystem (Parasympathikus). Diese Teilsysteme stehen nicht nur in einer rein antagonistischen Wirkungsbeziehung zueinander. Vielmehr bestehen zwischen ihnen komplexe dynamische Interaktionen. Die gegenseitige Kontrolle von Vagus und Sympathikus-Aktivität, wie sie im Barorezeptor Reflex vorliegt, wird ergänzt durch gleichzeitige Co-Aktivierung beider autonomen Teilsysteme [1,2]. Bei vielen Krankheitszuständen ist der wohl austarierte Zustand des autonomen Nervensystems gestört. Auch der Herzinsuffizienz liegt eine Störung des autonomen Nervensystems zu Grunde [3]. Bei Patienten mit Herzinsuffizienz ist der Vagustonus reduziert, während der Sympathikustonus erhöht ist. Die Standardmedikation mit Betablocker und ACE-Hemmer zielt darauf ab, die adrenerge Überstimulation durch den Sympathikus zu hemmen. Reduzierung des erhöhten Sympathikustonus behebt jedoch nur die eine Hälfte des vegetativen Ungleichgewichts. Die Aktivierung des geschwächten Parasympathikus ist ein komplementärer Ansatz, welcher aktuell mit ermutigenden Ergebnissen beforscht wird. Bearbeitet werden pharmakologische Modulationen des Parasympathikus [4] und direkte elektrische Stimulierung. Sowohl im Tierversuch als auch bei Patienten konnten positive Ergebnisse erzielt werden [5,6].
Herzglykoside modulieren das autonome Nervensystem [7]. Die therapeutischen und toxischen Effekte der Herzglykoside gleichen der kombinierten Wirkung der Botenstoffe von Parasympathikus (Acetylcholin) und Sympathikus (Adrenalin) [8,9]. Lipophile Digitalisglykoside haben vorwiegend sympathomimetische Wirkungen; hydrophile Strophanthusglykoside haben ausgeprägte vagomimetische Wirkungen. Die Wirkung der Herzglykoside ist abhängig von dem jeweiligen Zustand des vegetativen Nervensystems. Bei gesunden Probanden werden deshalb andere Effekte beobachtet als bei Herzpatienten. Dies erklärt auch die Tatsache, dass Patienten unterschiedliche, dosisabhängige Empfindlichkeiten gegenüber Herzglykosiden aufweisen, welche bei der Dosierung beachtet werden müssen. Hierauf beruht die von Edens formulierte Erkenntnis „jedes Herz braucht seine eigene Digitalis- und Strophanthin Dosis“ gemäß derer für jeden Patienten die individuelle Dosis per Titration zu ermitteln ist.
In der therapeutischen Praxis sind die neurohormonalen Wirkungen der Herzglykoside jedoch kaum beachtet worden. Bis weit in die 1980er Jahre hinein galt das Dogma, bei der Behandlung von Herzinsuffizienz die Kontraktionskraft des erkrankten Herzmuskels zu maximieren. Im Vordergrund stand die inotrope Wirkung der Herzglykoside. Es wurde die höchste verträgliche Dosis verabreicht („Peitsche für das hungernde Pferd“). Die Dosis wurde oft solange erhöht, bis es bei den Patienten zu Brechreiz oder Störungen des Farbensehens kam. Digitalisvergiftungen gehörten zu den häufigsten Vergiftungen durch Medikamente. Die Erkenntnis, dass Herzglykoside in hoher Dosierung die Natriumpumpe hemmen und die daraus abgeleitete Hypothese, dass dadurch die Kontraktionskraft des Herzmuskels erhöht wird, verfestigten die heutige Lehrbuchmeinung, dass Herzglykoside durch direkte Einwirkung auf den Herzmuskel ihre Wirkung entfalten.
Auch die Strophanthusglykoside verfügen über eine positiv inotrope Wirkung. Darin sahen viele Kardiologen den Nachweis, dass Digitalisglykoside und Strophanthusglykoside im Prinzip gleichartige Wirkungen besitzen [10,11]. Unterschiede beschränkten sich auf Pharmakokinetik (Wirkungseintritt, Wirkungsdauer) und Senkung der Herzfrequenz. Die positiv inotrope Wirkung von Strophanthusglykosiden ist vor allem nach intravenöser Applikation zu beobachten. Nach oraler Applikation ist sie hingegen kaum festzustellen.
Die hormetische Dosis-Wirkungbeziehung der Herzglykoside [12] nach der in hoher Dosierung gegensätzliche Effekte zu denen bei niedriger Dosierung erzielt werden, ist in der medizinischen Praxis lange nicht beachtet worden. Aktuelle Auswertungen von klinischen Studien mit Digoxin deuten jedoch darauf hin, dass Digoxin in niedriger Dosierung - welche die Natriumpumpe nicht hemmen - deutlich bessere Resultate erzielt als in höheren Dosierungen [13,14]. Mit dieser Neubewertung gewinnen auch die bisher vernachlässigten neurohormonalen Wirkungen der Glykoside wieder an Bedeutung. Bei lipohilen Digitalislykosiden wie Digitoxin und Digoxin überwiegen in den bisher üblichen hohen Dosierungen sympatomimetische Eigenschaften. Im Gegensatz hierzu überwiegen bei den hydrophilen Strophanthusglykosiden k-Strophanthin und Ouabain (in der deutschsprachigen Literatur als g-Strophanthin bezeichnet) vagomimetische Effekte. Diese sind bei den niedrigen Serumkonzentrationen, welche nach oraler Applikation vorliegen, besonders deutlich ausgeprägt. Mit der Aktivierung des geschwächten Parasympathikus bietet das Ouabain eine zur Standardtherapie alternative Möglichkeit, das vegetative Ungleichgewicht bei Herzinsuffizienz-Patienten zu beheben.
Literatur
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[10] Effert, S ; Meyer, J Zur Strophanthintherapie. Vorteile und Nachteile. Deutsche medizinische Wochenschrift 1967 Band 92, Heft 36, Seite(n) 1637–1639
[11] Gotsch K, Borkenstein E, Clodi H. Vergleichende hämodynamische Untersuchungen mit Reinglykosiden der Digitalis lanata und Strophanthin. Z Kreislaufforsch. 1959;48(11-12):547-57.
[12] Fürstenwerth H. Why Whip the Starving Horse When There Is Oats for the Starving Myocardium? Am J Ther 2014 Sep 24. [Epub ahead of print] doi: 10.1097/MJT.0000000000000151
[13] Adams KF Jr, Ghali JK, Herbert Patterson J, Stough WG, Butler J, Bauman JL, Ventura HO, Sabbah H, Mackowiak JI, van Veldhuisen DJ. A perspective on re-evaluating digoxin's role in the current management of patients with chronic systolic heart failure: targeting serum concentration to reduce hospitalization and improve safety profile. Eur J Heart Fail. 2014 May;16(5):483-493
[14] Ambrosy AP, Butler J, Ahmed A, Vaduganathan M, van Veldhuisen DJ, Colucci WS, Gheorghiade M. The use of digoxin in patients with worsening chronic heart failure: reconsidering an old drug to reduce hospital admissions. J Am Coll Cardiol. 2014 May 13;63(18):1823-183