Immer mehr Kinder werden per Kaiserschnitt geboren. In vielen Fällen geht es auch gar nicht anders, weil der Kopf des Babys zu groß, das Becken der Mutter zu eng ist – oder beides. Dass man dieses Problem mit der Sectio Caesarea umgeht, hat anscheinend evolutionäre Auswirkungen.
Im 19. Jahrhundert war der Kaiserschnitt ein gefürchteter Eingriff – zu Recht, denn für die meisten Frauen endete er mit dem Tod durch innere Blutungen oder Infektionen. Das Verfahren wurde erst mit der Zeit optimiert. Fast ein Drittel aller Kinder in Deutschland erblicken mittlerweile auf diese Weise das Licht der Welt. Nicht in allen Fällen ist dieser Weg der Geburt notwendig, aber häufig rettet der Kaiserschnitt das Leben von Mutter und Kind.
Viele betrachten den Kaiserschnitt als Luxusgeburt. Wenn es nach Philipp Mitteröcker, Evolutionsbiologe an der Universität Wien geht, wird in der Zukunft immer öfter eine Sectio Caesarea notwendig sein. Denn die Menschheit entwickelt sich so weiter, dass eine vaginale Geburt wohl immer seltener möglich sein wird. Das liegt an dem problematischen Verhältnis zwischen Kopf (des ungeborenen Kindes zum Zeitpunkt der Geburt) und engem Becken der Mutter. Der Experte argumentiert so: War das Verhältnis zwischen Kopf und Becken früher zu extrem, führte das zum Tod. Evolutionstechnisch hätte dies bedeuten müssen, dass die Gene für ein sehr enges Becken oder einen extrem großen Kopf nicht weitergegeben werden und dieses Missverhältnis in weiterer Folge immer seltener wird. Dem ist aber nicht so.
Das könnte laut Biologen damit zusammenhängen, dass diese beiden Merkmale einen Selektionsvorteil darstellen. Je größer ein Baby bei der Geburt ist, desto höher seine Überlebenschance nach der Geburt und desto widerstandsfähiger sein Immunsystem in den weiteren Lebensjahren. Ein enges Becken wiederum ist von Vorteil für die Frau, es bewahrt die Gebärmutter vor einem Prolaps und begünstigt die Fortbewegung. Es handelt sich um eine schwierige Kombination: Obgleich ein Baby mit einem großen Kopf nach der Geburt höhere Überlebenschancen hat, ist seine Existenz während der Geburt dafür gefährdeter im Vergleich zu Babys mit kleineren Köpfen. Das Becken der Frau hat evolutionstechnisch auch nur einen begrenzten Spielraum. Es kann sich nicht völlig zugunsten des Babys erweitern, weil ab einem gewissen Zeitpunkt die Fortbewegung beeinträchtigt würde.
Auch weiterhin bleibt dieses Problem bestehen. Es wurde aber mit Einführung des Kaierschnitts in den 1950er Jahren umgangen. Zwar kann der direkte Zusammehang bisher nicht endgültig bewiesen werden, aber Fakt ist: Die erfolgreichen OPs gehen zeitlich damit einher, dass immer mehr Kinder mit größerem Kopfumfang geboren werden. Im gleichen Zeitraum stieg die Zahl der „Becken-Kopf-Missverhältnisse“ tatsächlich um rund 10 bis 20 Prozent an, berechnen die Forscher auf der Basis von mathematischen Evolutionstheorie-Modellen. Originalpublikation: Cliff-edge model of obstetric selection in humans Philipp Mitteroecker et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1612410113; 2016