Für jährlich 20.000 Brustkrebspatientinnen ergeben die klinischen Faktoren kein eindeutiges Bild. So bleibt die Frage: Soll man nach der OP eine Chemotherapie anschließen? Bei der Entscheidung sollen Biomarker-Tests helfen – aber deren Aussagekraft wird kontrovers diskutiert.
Jahr für Jahr erkranken etwa 70.000 Frauen in Deutschland neu an Brustkrebs. Nach chirurgischer Entfernung des Tumors stellt sich für Onkologen vor allem eine Frage: Wann macht eine adjuvante Chemotherapie Sinn? Die Zuordnung erfolgt derzeit über standardisierte histologische Verfahren. Als Alternative untersuchen Genetiker beispielsweise mit MammaPrint® 70 tumorassoziierte Gene. Bei etwa 30 Prozent aller Proben führen molekularbiologische und histologische Verfahren zu unterschiedlichen Einordnungen hinsichtlich des Risikos. Jetzt hat das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Auftrag des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) Biomarker kritisch unter die Lupe genommen.
„Insgesamt kommt das IQWiG zu dem Schluss, dass derzeit kein Anhaltspunkt für einen Nutzen oder Schaden einer biomarkerbasierten Strategie zur Entscheidung für oder gegen eine adjuvante Chemotherapie beim primären Mammakarzinom vorliegt“, heißt es in einer Meldung. Zum jetzigen Zeitpunkt könne man Patientinnen mit klinisch hohem und genetisch niedrigem Risiko „nicht guten Gewissens von einer Chemotherapie abraten“. Vielmehr seien Ergebnisse aus laufenden Studien erforderlich. Diese Einschätzung teilen nicht alle Experten. Professor Dr. Ulrike Stein © MDC Professor Dr. Ulrike Stein, Leiterin der Arbeitsgruppe Translationale Onkologie solider Tumore am Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) berichtet von der Phase-III-Studie MINDACT. Dabei wurde der Nutzen von Chemotherapien bei 6.693 Patientinnen mit einseitigem, vollständig entferntem, primärem Mammakarzinom untersucht. Eingeschlossen wurden Frauen, die nicht mehr als drei positive Lymphknoten und keine Fernmetastasen hatten. Bei ihnen setzten Ärzte neben histologischen Verfahren den Biomarker-Test MammaPrint® ein. „Vorläufige veröffentlichte Ergebnisse zeigen bei Patientinnen mit hohem klinischen und mit geringem molekularbiologischen Risiko nach fünf Jahren ein Überleben ohne Fernmetastasen zu 94,7 Prozent in der Gruppe ohne Chemotherapie“, so Stein. „Es wurde in dieser Patientengruppe ein absoluter Unterschied in der Fünf-Jahres-Metastasenfreien Überlebensrate von 1,5 Prozentpunkten bei Patientinnen mit und ohne Chemotherapie festgestellt.“ Sie warnt, es handele sich um die Daten aus nur einer – wenn auch umfangreichen – Studie. Das Auftreten weiterer Fernmetastasen in den folgenden Jahren müsse abgewertet werden. Sie sieht aber große Potenziale in der Methode.
PD Dr. Angela M. Otto © TUM Laut Privatdozentin Dr. Angela M. Otto, Forschungsprojektleiterin an der Munich School of Bioengineering, Technische Universität München (TUM), käme die ergänzende Testung schon jetzt Patientinnen zu Gute. Bei rund 46 Prozent in der klinischen Hochrisiko-Gruppe zeigen genetische Untersuchungen ein niedriges Rezidivrisiko. Hier kann auf eine Chemotherapie verzichtet werden. „Das betrifft etwa 23 Prozent der Brustkrebs-Erkrankungen mit positivem Hormonrezeptor-Status und negativem HER2-Status“, sagt Otto. „Angesicht der vorliegenden Daten erscheint es gerechtfertigt, dass die Kosten für diesen Test von der Krankenkasse übernommen werden, auch unter dem Aspekt, dass hohe Kosten einer mehrjährigen Chemotherapie erspart bleiben würden.“ Professor Dr. Stefan Wiemann © DKFZ Genau hier erwartet Professor Dr. Stefan Wiemann, Leiter der Abteilung Molekulare Genomanalyse am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Probleme: „Wenn das IQWiG zum Ergebnis gelangt, dass dieser Nutzen nicht festgestellt werden konnte, dann wird die Verwendung des MammaPrint®-Tests in Deutschland zumindest bis auf Weiteres nicht in die allgemeine Diagnosestellung aufgenommen werden.“ Er hält den klinischen Nutzen für belegt, kann die Argumentation des Instituts aber nachvollziehen. Schließlich treten Rezidive und Metastasen oft erst nach geraumer Zeit auf. Der überschaubare Zeitraum von fünf Jahren bei MINDACT sei zu gering, um abschließende Aussagen über die Vorhersagekraft der Tests zu treffen.
Dr. Oleg Gluz © Johanniter Dr. Oleg Gluz hat sich ebenfalls mit der Thematik befasst. Er ist wissenschaftlicher Koordinator der Westdeutschen Studiengruppe GmbH (WSG) und Oberarzt am Brustzentrum Niederrhein, Mönchengladbach. „Sowohl die Ergebnisse der MINDACT-Studie als auch die Fünf-Jahres-Daten der prospektiven PlanB-Studie der Westdeutschen Studiengruppe zeigen eindeutig in der multivariaten Analyse, dass die genomischen Tests eine zusätzliche prognostische Information zu klassischen prognostischen Faktoren liefern können“, so Gluz. „Die Rechnung vom IQWiG ist jenseits des klinischen Alltags aufgestellt worden und würde von kaum einer Patientin, die eine sechsmonatige Chemotherapie über sich ergehen lässt, nachvollzogen werden.“ Dabei geht es nicht nur um Nebenwirkungen. Schätzungen zufolge werden bei zwei bis drei Prozent aller Chemotherapien das Herz, die Nieren oder andere innere Organe auf lange Sicht geschädigt. Daniel Fleer vom IQWiG-Ressort „Nichtmedikamentöse Verfahren“ hatte entsprechende Zahlen zuletzt als „Hausnummern“ bezeichnet, die „oftmals ohne Belege einfach so in den Raum gestellt werden“. Sein Institut wartet jetzt erst mal auf weitere Daten.