Am 17. März 2015 hat die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK-Gesundheit) ihren Gesundheitsreport 2015 vorgestellt. Analysiert werden in dem jährlich erscheinenden Report die Daten zur Arbeitsunfähigkeit aller bei der DAK-Gesundheit versicherten Berufstätigen. So waren 2014 psychische Erkrankungen für 16,6% aller Arbeitsunfähigkeitstage verantwortlich.
Damit liegen sie hinter den Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems (22,7%) an zweiter Stelle der Statistik. Bezogen auf die Zahl der AU-Fälle liegen sie jedoch nur bei 5,8%, womit sie hinter vielen anderen Ursachen weit zurückliegen (Atmungsorgane 27,0%, Muskel-Skelett-System 15,6%, Verdauungssystem 11,1% u.a.). Dies zeigt, wie bedeutsam die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei psychischen Erkrankungen ist. Im Vergleich zum Vorjahr hat die Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen weiter zugenommen. 2013 waren noch 212,8 AU-Tage pro 100 Versicherte entstanden, 2014 waren es schon 237,3. Das ist ein Anstieg um mehr als 10%. 1997 lag dieser Wert noch bei 76,7 Tagen. Affektive Störungen waren 2014 mit mehr als 100 AU-Tagen pro 100 Versicherte die wichtigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit innerhalb der psychischen Störungen. Betrachtet man Einzeldiagnosen, ist die „depressive Episode“ (5,8% aller AU-Tage) unmittelbar hinter den „Rückenschmerzen“ (5,9% aller AU-Tage) die Diagnose, die für die zweitmeisten AU-Tage insgesamt verantwortlich ist. Bei Frauen ist die Zahl der AU-Tage aufgrund psychischer Erkrankungen in allen Altersgruppen deutlich höher als bei Männern. Bei beiden Geschlechtern steigt sie mit dem Alter, wiederum aber bei Frauen stärker als bei Männern. Schwerpunkt des Reports aber war diesmal – wie schon im Gesundheitsreport 2009 – das Thema „Doping am Arbeitsplatz“. Dazu schreibt die DAK im Vorwort zu dem Report: „Wie stark ist die Tendenz, mit leistungssteigernden Medikamenten nachzuhelfen? Die DAK-Gesundheit hat diese Frage in ihrem Gesundheitsreport 2009 erstmals aufgeworfen und umfassend analysiert. Lassen sich sechs Jahre später neue Tendenzen aufzeigen? In welchem Maße setzen Beschäftigte Medikamente abseits der eigentlichen Diagnosen ein, um ihre Denk- und Konzentrationsfähigkeit am Arbeitsplatz zu steigern? Wie bekannt sind die erheblichen Gesundheitsrisiken und das Suchtpotenzial, das diese Mittel auf lange Sicht bergen?“ Der Report hat ein enormes Medienecho ausgelöst. Nahezu alle Medien, einschließlich der großen Fernsehsender in den Hauptnachrichten, haben darüber berichtet. Auch die DGPPN hat dazu eine Presseerklärung veröffentlicht. In einer repräsentativen Umfrage wurden 5017 Erwerbstätige im Alter zwischen 20 und 50 zu dem Thema befragt und die Arzneimittelverordnungsdaten der DAK ausgewertet. „Hirndoping“ oder „Neuroenhancement“ bezeichnet die Verbesserung kognitiver Leistungen bei Gesunden durch Arzneimittel. Der Gesundheitsreport 2015 ist für jeden an der Sache Interessierten ein lesenswertes Dokument. Er hat sich nach meiner Auffassung sorgfältiger mit dem Thema auseinander gesetzt als der Report 2009, vor allem, weil man sich hier eher bemüht hat, die Grenze zwischen indikationsgemäßer Anwendung von Psychopharmaka (z.B. bei Depressionen) und nicht medizinisch notwendiger Anwendung zu ziehen. Der Report kann vollständig hier heruntergeladen werden. Laut DAK-Studie haben 6,7% der Befragten irgendwann einmal in ihrem Leben (sog. Lebenszeitprävalenz) pharmakologisches Neuroenhancement angewendet. 3,3% der Befragten gaben an, aktuell verschreibungspflichtige Medikamente zur Leistungssteigerung anzuwenden, 4,7% nahmen aktuell solche Arzneimittel zur Stimmungsverbesserung und zum Abbau von Nervosität (wobei sich die beiden Gruppen überschneiden, d.h. die Zahlen nicht einfach summiert werden können). Es ist auffällig, dass die Lebenszeitprävalenz des pharmakologischen Neuroenhancements nach dem DAK-Report bei Frauen mit 6,9% höher ist als bei Männern mit 6,5%. Das liegt wohl daran, dass laut der Studie Frauen Medikamente deutlich häufiger zur Verbesserung der Stimmung und zum Abbau von Ängsten einnehmen als Männer (5,5% vs. 4,1%). Das zeigt, dass die Grenzen zum bestimmungsgemäßen Gebrauch wahrscheinlich nicht so scharf zu ziehen sind, wie es der Report suggeriert. Depressionen und Angststörungen sind bei Frauen einfach deutlich häufiger als bei Männern. Selbstverständlich steht der Gesundheitsreport 2015 dem Thema Neuroenhancement kritisch gegenüber. Es werden einige Fachleute zitiert und zu Rate gezogen, deren kritische Haltung gegenüber dem Neuroenhancement bekannt ist. Insbesondere wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass die Wirkungen der Medikamente, die zum Neuroenhancement verwendet werden, gering oder sogar gar nicht vorhanden seien. Die Risiken überwögen daher eindeutig den Nutzen. Das ist aber nicht richtig. Das Ausmaß der Effekte dieser Substanzen hängt vom Kontext der Anwendung und von der Genetik der Personen ab, die diese Substanzen anwenden. Den wissenschaftlichen Hintergrund dazu habe ich kürzlich, zusammen mit Thorsten Bartsch von der Neuriologischen Universitätsklinik Kiel, in einem Übersichtsartikel, der im Nervenarzt erschienen ist, dargelegt (Gründer G, Bartsch T. Nervenarzt 2014; 85: 1536-1543). Auch dieser Artikel kann hier im Volltext heruntergeladen werden. In jedem Fall zeigt die große Resonanz des Gesundheitsreports 2015 in den Medien, dass uns das Thema der „Selbstoptimierung“ in den nächsten Jahren noch ganz erheblich beschäftigen wird. Dieser Beitrag ist auch verfügbar unter www.mind-and-brain-blog.de.
Bildquelle (Außenseite): Henry Burrows, flickr / CC by-sa