Durch den Absturz der Germanwings-Maschine und die momentane Vermutung, dass der Copilot an einer psychischen Krankheit litt und diese im Zusammenhang mit dem Absturz steht, sind psychische Erkrankungen wieder in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt.
Wie immer nach solch einem Ereignis, das für uns unbegreifbar erscheint, wird der Ruf nach Veränderungen laut, die eine solche Tragödie in Zukunft verhindern sollen. So fordern viele nun verschärfte psychologische Tests und vor allem eine Lockerung der Schweigepflicht, um den Arbeitgeber bei bestimmten Erkrankungen informieren zu können.
Dass diese Diskussionen große Gefahren bergen, liegt klar auf der Hand. Zunächst findet zurzeit wieder eine Stigmatisierung von psychisch Erkrankten statt, nachdem es gerade in den letzten Jahren zu einer größeren Akzeptanz in der Gesellschaft von psychisch Erkrankten gekommen ist. Gerade das Krankheitsbild der Depression wurde mehr und mehr als eine „normale“ Erkrankung angesehen, die jeden treffen kann.
Unter dem Namen „Burn-out“ bekam die Depression fast einen positiven Touch, denn wer „ausgebrannt“ ist, muss logischerweise vorher erst einmal „gebrannt“ haben, sich also als ein besonders aktiver Teil der Gesellschaft gezeigt haben. Durch die vermutliche Tat eines Einzelnen, der einmal in seinem Leben eine Depression hatte (ob er zum Zeitpunkt des Absturzes an einer Depression oder an einer anderen Erkrankung litt, ist noch nicht bewiesen), wandelt sich nun die Stimmung gegenüber psychischen Erkrankungen wieder. Das ist äußerst schade und bedauernswert, denn psychiatrische Erkrankungen sind – wie der Name schon sagt, Erkrankungen. Sie sind nichts, was die betreffenden Patienten sich ausgesucht haben. Sie sind auch nichts, was man einfach abstellen kann, wenn man denn nur wirklich wollen würde. Und wie andere somatische Erkrankungen auch, gibt es einen großen Leidensdruck, nicht gesund zu sein.
Vor allem machen psychische Erkrankungen die Betroffenen nicht zu Monstern oder Außerirdischen oder zu meidenden Personen, sie bleiben auch einfach nur Menschen. Ein Depressiver zum Beispiel ist niemand, den man meiden sollte, zumal die Lebenszeitprävalenz der Depression relativ hoch ist, das heißt, ein erstaunlich großer Anteil aller Menschen wenigstens einmal im Leben daran erkrankt. Es gibt Behandlungen gegen die Depression, manchmal wirken sie besser, manchmal schlechter, nicht anders als das Behandlungen gegen Diabetes zum Beispiel manchmal besser oder schlechter wirken.
Deswegen ist die Forderung nach der Lockerung der Schweigepflicht eine ganz schlechte Idee, denn erstens wird es so nur Erkrankten erschwert, sich einem Arzt anzuvertrauen, wenn sie befürchten müssen, dass gleich der Arbeitgeber davon erfährt. Zweitens: Wo soll man die Grenze ziehen, welche Krankheiten gemeldet werden dürfen und welche nicht? Darf eine akute Psychose dem Arbeitgeber gemeldet werden, eine leichte Depression aber nicht? Was wenn die leichte Depression in eine schwere Depression mit Selbstmordgefahr umschlägt? Und warum muss man dann nicht auch zum Beispiel den Epileptiker melden, der seine Medikamente nicht mehr nimmt und mit Maschinen arbeitet? Oder den höchst Schlaganfall- und Herzinfarkt-gefährdeten Busfahrer mit ausgeprägtem metabolischen Syndrom, der keinerlei Medikamente einnimmt und ein Alkohol- und Zigarettenproblem hat?
Letzte Woche kam, passend zu dieser Problematik, ein Patient in einer akuten affektiven Psychose zu mir, momentan vor allem manisch. Eine Stunde habe ich damit zugebracht, aus seinem großen Redefluss und gelösten Assoziationen eine Anamnese zu erstellen, Eigen- und Fremdgefährdung abzuklären und ihn davon zu überzeugen, dass ein stationärer Aufenthalt dringend erforderlich ist. Solch eine Psychose ist bereits seine 8. innerhalb von 20 Jahren.
Im Laufe des Gesprächs kamen wir auch auf seine Arbeit zu sprechen. Er ist Leiter einer Abteilung mit 15 Mitarbeitern und muss durchaus weitreichende Entscheidungen treffen. Bis jetzt konnte er diese Aufgabe auch gut ausfüllen, jetzt hat er gemerkt, dass „diese Psycho-Sache“ wiederkommt und hat sich Hilfe gesucht.
Wie hätte er sich verhalten, wenn er davon hätte ausgehen müssen, dass ich alles brühwarm seinem Arbeitgeber mitteile? Er wäre wahrscheinlich gar nicht gekommen und hätte es alleine versucht. Und ein Mensch, der erkrankt ist und denkt, er kann nirgendwo vertrauensvolle Hilfe bekommen und versucht sich deshalb unbehandelt allein durchzuschlagen, ist eine viel größere Gefahr als ein behandelter Patient unter ärztlicher Kontrolle.