Zugegeben, ein heißes Eisen: Für wen arbeiten wir als Ärzte/-innen eigentlich? Für Patienten, für unseren Lebensunterhalt, aus altruistischen Motiven, ferngesteuert, fremd- oder selbstbestimmt. Sind es der medizinisch-industrielle Komplex, Pharma-, Gesundheits- und Krankheitsindustrien, die uns lenken? Sind wir 'ferngesteuert' für Kassen, Verwaltungen, Politik und Gesundheitsökonomie tätig?
Werden unsere Freude an der Medizin, unser vitales Interesse an Anamnese, Untersuchung, Beratung, Differenzialdiagnostik, Therapie und Palliation nur noch von einer hochentwickelten Gesundheitswirtschaft ausgenutzt und ausgebeutet?
Vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, in Bochum während einer Fortbildungsveranstaltung "Psychosomatische Medizin" der Thure von Uexküll-Akademie Prof. Paul U. Unschuld persönlich kennen zu lernen. Mittlerweile gibt es sein Buch: "Ware Gesundheit - Das Ende der klassischen Medizin" in einer 3. aktualisierten und erweiterten Auflage 2014 (C. H. Beck-Verlag, Paperback). Darin beschreibt er Gesundheit als Menschheitstraum. Nicht nur die europäische Kultur habe seit über zwei Jahrtausenden oft im Widerspruch zur Theologie versucht, den Traum vom individuellen, individualisierten, existenziellen Wohlbefinden bzw. A b w e s e n h e i t von Krankheit selbstbestimmt zu verwirklichen. Grundlagen dazu seien Erkenntnis, Wissen und Beherrschung der Naturgesetze, Physiologie, Biochemie, Genetik, Infektiologie und Propädeutik als Grundlagenforschung gewesen.
Das heutige Potential, Abweichungen zu erkennen, Krankheiten zu heilen, Leiden zu mindern und das Leben selbst zu beeinflussen, ist enorm. Der Mensch kann mittels medizinischem Erkenntnisfortschritt Kontrazeption, Konzeption, Reproduktion, Geburt, aber auch genetische, endogene, exogene, infektiologische, systemische und degenerative Dispositionen, Leiden und Erkrankungen bis hin zu Alterungsvorgängen beeinflussen oder gar manipulieren.
Zugleich naht damit das Ende der klassischen Medizin in Form der reinen Arzt-Patient-Interaktion. Technischer Fortschritt, geänderte Formen der Wissensbildung, gesellschaftlicher Wandel, medizinisch-technischer Komplex, EDV-Techniken, Arbeitsteilung und die zunehmende Vergesellschaftung bzw. Ökonomisierung haben Ärzte als wesentliche, zentrale Entscheidungsträger verdrängt und neue wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Akteure an die Macht gebracht.
Diese betrachteten erstmals in der Geschichte den Kranken als wirtschafts- und sozialpolitische, ökonomische Ressource: Gesundheit als Ware, Patient als Kunde, Arzt als Dienstleister. Weitgehend Medizin-bildungsferne Schichten übernehmen die überwiegend verwaltende Deutungshoheit über Gesundheit, Prävention, Krankheit und Zugang zu medizinischen Versorgungs-Dienstleistungen.
Mf+kG, Dr. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund