Das Dietary Guidelines Advisory Committee des Gesundheitsministeriums der USA bestätigt, dass cholesterinreiche Nahrung keinen Einfluss auf den Cholesterinspiegel hat. Eine aktuelle Studie belegt, dass Statine den Cholesterinspiegel reduzieren, aber nicht vor kardiovaskulären Ereignissen schützen. Ihre nachteiligen Auswirkungen sind viel erheblicher als allgemein bekannt ist.
„Cholesterin verursacht Herz-Kreislauferkrankungen und führt durch Verkalkung der Herzarterien zu Herzinfarkt.“ Diese weitverbreitete Meinung gilt in der breiten Öffentlichkeit ebenso wie bei vielen Medizinern als unstrittige Tatsache. Deshalb sei im Sinne der Vorbeugung eine cholesterinarme Ernährung sinnvoll. Diese Hypothese geht zurück auf epidemiologische Erhebungen in den USA in den 1950er-Jahren, in denen ein Zusammenhang von fetthaltiger Ernährung und der Häufigkeit von Herz-Kreislauf-Erkrankungen postuliert wurde. Insbesondere führe eine cholesterinreiche Ernährung (Fleisch, Hühnerei, Milch, Butter und andere Milchprodukte) zu einem erhöhten Cholesterinspiegel. Der erhöhte Cholesterinspiegel wiederum führe zu Arteriosklerose und damit vermittels Durchblutungsstörungen zu Herzinsuffizienz und Herzinfarkt. 1961 nahm die American Heart Association eine Warnung vor Cholesterin in ihre Leitlinien auf. 1977 wurde Cholesterin in den "Dietary Goals" des amerikanischen Gesundheitsministeriums offiziell als potentiell schädlicher Bestandteil der Nahrung eingestuft, den es zu minimieren gelte. Noch 2014 berichtete die FDA (Food and Drug Administration) dass "Aktuelle Ernährungsempfehlungen weiterhin die etablierte Beziehung zwischen dem Verzehr von Cholesterin und seine Wirkung auf den Blutcholesterinspiegel anerkennen." In seinem aktuellen Entwurf für eine Neufassung der Dietary Guidelines vollzieht das einflussreiche Dietary Guidelines Advisory Committee des Gesundheitsministeriums nun eine Kehrtwendung. Cholesterin wird nicht länger als problematisch eingestuft, weil es keinen Zusammenhang zwischen Cholesterinaufnahme und Cholesterinspiegel gibt: „available evidence shows no appreciable relationship between consumption of dietary cholesterol and serum cholesterol. Cholesterol is not a nutrient of concern for overconsumption.“ (Scientific Report of the 2015 Dietary Guidelines Advisory Committee).
Damit bahnt sich ein vorläufiger Schlussstrich an unter eine von Anbeginn an kontroverse Diskussion. Die Hypothese, der Cholesteringehalt des Blutes von Menschen sei durch die Nahrungsauswahl zu beeinflussen, ist in zahlreichen Studien widerlegt worden. Dennoch gelang es den Vertretern der Cholesterin-Hypothese mit massiver Unterstützung der Nahrungsmittelindustrie ihre Version zu allgemeiner Gültigkeit zu verhelfen. Der SPIEGEL widmete diesem Thema bereits im April 1979 eine on-line verfügbare Titelgeschichte „Gesünder durch Margarine – der große Bluff“. Zitat: „Eine strategisch geplante, mit langem Atem seit 1950 durchgehaltene Kampagne hat der Margarine ein neues Image gegeben. Prominente Ärzte leisteten Beihilfe.“... „Der ordentliche Professor Edmund Renner, hält die Margarine-Fürsprecher unter seinen Medizinerkollegen schlicht für "käuflich".“
Vor dem Hintergrund dieser über Jahrzehnte verbissen geführten Auseinandersetzung und den involvierten kommerziellen Interessen bleibt abzuwarten, ob die fundierten wissenschaftlichen Befunde, dass cholesterinarme Nahrung keinen Schutz vor Herzinfarkt bietet, nun endlich allgemeine Anerkennung findet.
Cholesterinspiegel und Herzinfarkt
Ähnlich umstritten wie der Einfluss von cholesterinhaltiger Nahrung auf den Cholesterinspiegel ist die Bedeutung des Cholesterinspiegels als Risikofaktor für Arteriosklerose und Herz-Kreislauferkrankungen. Eine Vielzahl von klinischen Studien und experimentellen Forschungsergebnissen weist aus, dass es keine belegbare Korrelation zwischen arteriosklerotisch bedingten Durchblutungsstörungen und Herzinsuffizienz gibt [1 und darin zitierte Literatur, 2]. Viele Patienten mit Angina pectoris und Anzeichen von Ischämie haben keine nachweisbare koronare Arteriosklerose und umgekehrt haben viele Patienten mit einer schweren koronaren Arteriosklerose weder Schmerzen in der Brust noch lässt sich ein Nachweis von Myokardischämie erbringen. Es sind extreme Fälle dokumentiert, in denen trotz vollständigem Verschluss von allen drei großen Koronararterien eine ausreichende Durchblutung des Herzens und normale Herzfunktion beobachtet wurde. Ein ausgeprägtes Netzwerk von Anastomosen und Kollateralen gewährleistet eine ausreichende Durchblutung des Herzens [3].
In einer aktuellen Analyse der verfügbaren klinischen Studien mit Statinen belegen Wissenschaftler der University of South Florida, dass Lipidsenker aus der Wirkstoffgruppe der Statine zwar eine dramatische Reduktion der Cholesterinspiegel von Patienten bewirken, aber kaum positive Effekte auf kardiovaskuläre Ereignisse haben [4]. Zudem seien ihre nachteiligen Auswirkungen viel erheblicher als allgemein bekannt ist.
Die Autoren zeigen auf, wie es zu der Fehleinschätzung der Wirksamkeit von Statinen kommt. Wie heute leider bei vielen klinischen Studien üblich werden die Wirkungen nicht in Absolutwerten sondern in relativen Größen ausgewiesen. In absoluten Werten gemessen liegt die Wirkung von Statinen bei etwa einem Prozent, d.h. von 100 behandelten Patienten wird nur bei einem ein Herzinfarkt verhindert. Angegeben wird jedoch die relative Wirkung, welche häufig 30 bis 50% beträgt. Dieses Vorgehen wird am Beispiel von mehreren großen klinischen Studien mit Statinen verdeutlicht.
In der von AstraZeneca gesponserten JUPITER-Studie mit dem Wirkstoff Rosuvastatin, welche 17.802 Patienten umfasste wurde eine relative Reduktion der Herzinfarkte um 54% ausgewiesen, während die absolute Wirkung eine Verringerung der koronaren Ereignisse um weniger als ein Prozentpunkt betrug.
In der ASCOT-LLA-Studie mit dem Wirkstoff Lipitor (Atorvastatin) von Pfizer gab es Herzinfarkte und Todesfälle in 3% der mit Placebo behandelten Kontrollgruppe im Vergleich zu 1,9% in der Lipitor-Gruppe. Die Verbesserung der Ergebnisse mit Lipitor Behandlung betrug also nur 1,1 Prozentpunkte. In der offiziellen Präsentation der Ergebnisse dieser Studie wurde jedoch auf eine 36% ige Reduktion des Herzinfarkt-Risikos verwiesen.
Heute wird der Cholesterinspiegel differenziert nach HDL, dem guten Cholesterin und LDL, dem schlechten Cholesterin. Bisher haben sich alle Versuche, den Spiegel an „gutem“ HDL zu steigern als Fehlschlag erwiesen. Roche's Wirkstoff Dalcetrapib und Pfizer's Torcetrapib sind in großen Registrierungsstudien gescheitert. Aktuell hat Eli Lilly eine 12.000 Patienten umfassende Studie mit dem Wirkstoff Evacetrapib angehalten.
Derzeit werden in der Pharmaindustrie große Hoffnungen gesetzt auf PCSK9-Inhibitoren, welche den LDL-Spiegel senken und bereits als „Super-Statine“ gefeiert werden. Mehrere Wirkstoffe befinden sich in Zulassungsstudien. Die Senkung des LDL-Spiegels ist eindrucksvoll. Ergebnisse über den Einfluss auf kardiovaskuläre Ereignisse liegen noch nicht vor.
Die Bedeutung der Cholesterinspiegel für Herz- Kreislauferkrankungen bleibt also umstritten. Deshalb ist es lohnenswert, auf Wirkstoffe zu setzen, welche über andere Wirkmechanismen kardioprotektive Effekte bewirken. Der Wirkstoff Ouabain mit seinem einzigartigen Wirkprofil ist hierfür ein vielversprechender Kandidat.
Literatur
[1] Marzilli M, Merz CN, Boden WE, Bonow RO, Capozza PG, Chilian WM, DeMaria AN, Guarini G, Huqi A, Morrone D, Patel MR, Weintraub WS. Obstructive coronary atherosclerosis and ischemic heart disease: an elusive link! J Am Coll Cardiol. 2012 Sep 11;60(11):951-956.
[2] Mehta J L, All CAD Is Not CHD, and All CHD Is Not CAD, JACC 2013;61(3):387
[3] Seiler C, Collateral Circulation of the Heart. London, UK: Springer-Verlag; 2009.
[4] Diamond DM, Ravnskov U. How statistical deception created the appearance that statins are safe and effective in primary and secondary prevention of cardiovascular disease. Expert Rev Clin Pharmacol. 2015 Mar;8(2):201-10. doi: 10.1586/17512433.2015.1012494. Epub 2015 Feb 12.