Seit 2 Wochen sehen wir in der Praxis nicht rot, sondern nur noch gelb. Sonnenblumengelb. Dank des vor allem in Berlin grassierenden Masernausbruches ist das passiert, was die großangelegte Werbekampagne „Deutschland sucht den Impfpass“ nicht geschafft hat.
Alle suchen und finden ihren Impfpass und tragen ihn schnell in unsere Praxis. Durch die große Berichterstattung in den Medien und die angestoßene Debatte über Impfpflicht, Herdenimmunisierung, Impfangst und "Impfsolidarität" haben anscheinend alle unsere Patienten begonnen, ihren Impfpass rauszukramen.
Vordergründig geht es natürlich um eine stattgefundene Masernschutzimpfung, aber wenn sie dann schon den Pass gefunden haben, wollen sie auch gleich wissen, ob nicht noch mehr Impfungen fehlen. Das ist zwar sehr löblich, und wir konnten nun auch schon neben vielen, vielen MMR-Impfungen auch gleich Tetanus-Auffrischimpfungen, fehlende Hepatitis-Impfungen und Grundimmunisierungen bei Kindern vervollständigen. Das ist alles sehr gut, nur kommen wir vor lauter Impfpass durchsehen, Impfberatungen und dem eigentlichen Impfen kaum noch dazu, unsere "normale" Arbeit zu erledigen.
Denn die Patienten kommen nicht nur mit ihrem eigenen Impfpass. Nein, sie kommen mit Stapeln von Impfpässen. Von Mutter, Vater, Partner, Kindern, Tante, Onkel, der Nachbarin... diese werden uns über den Tresen gereicht, mit der Bitte, „sie kurz mal durchzusehen“ und einen Impfplan für die fehlenden Impfungen zu erstellen. Die Sache würde an sich nicht so lange dauern, wenn die Impfpässe gut geführt wären. Meistens gibt es nicht nur einen Impfpass, sondern einen alten, einen neuen, ein paar lose Zettel und und und. Oder alternativ ist gar kein Impfpass mehr vorhanden, und wir versuchen dann mühsam anhand der Erinnerung des Patienten und mithilfe unserer eigenen Unterlagen wenigstens ein paar Impfungen zu rekonstruieren.
Beliebt ist auch das „Ach ich finde meinen Impfpass nicht mehr, keine Ahnung, impfen Sie mich einfach nochmal komplett neu.“ Was wir natürlich nicht machen, denn die wenigsten Menschen haben in ihrem Leben noch gar keine Impfung erhalten, und einfach auf Verdacht alle Impfungen, die gehen, in den Patienten reinzuballern, birgt unnötige Impfrisiken und kostet die Krankenkasse und damit die Versicherten viel Geld. Also versuchen wir in mühsamer Kleinarbeit wenigstens noch ein paar Impfungen zu rekonstruieren und einen neuen Impfpass anzulegen.
Trotz all dieser Mehrarbeit ist in dieser Hinsicht die Masernwelle positiv, da wir schon einige Impflücken schließen konnten, und das nicht nur bei Masern-Mumps-Röteln. Übrigens haben wir bis jetzt kaum Nebenwirkungen bei den überwiegend erwachsenen Geimpften beobachtet, etwas Gliederschmerzen und Unwohlsein war bis jetzt das Schlimmste.