In Klinik und Praxis war für mich bei orthopädisch definierter Symptomatik bisher Paracetamol kein "first-line" Präparat. Der Beipackzettel für den "Klassiker" ben-u-ron® als 500 mg Tabletten definiert unter "4. Klinische Angaben - 4.1 Anwendungsgebiete - Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen und/oder Fieber".
Doch ein Behandlungsversuch mit Paracetamol 500 mg bis 3x2 Tabletten täglich ist damit keineswegs ausgeschlossen. Weil in dieser Dosierung das Präparat weitgehend frei von Nebenwirkungen und Risiken ist, Linderung bringen kann u n d, noch wesentlicher, die meisten akuten Kreuz- und Rückenschmerzen mit oder ohne Medikation nach 7-10 Tagen auch spontan zurückgehen. Anhaltende, zunehmende Schmerzen sprechen dagegen eher für eine „red flag“ Symptomatik und weitere Abklärung.
Eine aktuelle Veröffentlichung im British Medical Journal BMJ (BMJ 2015; 350: h1225) schießt jedoch weit über das Ziel hinaus: "Efficacy and safety of paracetamol for spinal pain and osteoarthritis: systematic review and meta-analysis of randomised placebo controlled trials" von G. C. Machado, PhD student, et al. (!) entlarvt sich bereits im seinem "Abstract" als Produkt spekulativer studentischer Ungenauigkeit. Anfangs heißt es noch unter Untersuchungsgegenstand: Untersuchung zur Effektivität und Sicherheit von Paracetamol (Acetaminophen) bei der Behandlung von spinalen Schmerzen und Osteoarthritis von Hüft- und Kniegelenk ["Objective - To investigate the efficacy and safety of paracetamol (acetaminophen) in the management of spinal pain and osteoarthritis of the hip or knee"]. In krassem Gegensatz ist bei den Schlussfolgerungen unverständlicherweise nur noch von Paracetamol-Ineffektivität bei der Behandlung des unteren Rückenschmerzes, spezifisch oder nicht-spezifisch blieb offen, und von minimalem Kurzzeit-Benefit bei Osteoarthritis die Rede: "Conclusions - Paracetamol is ineffective in the treatment of low back pain and provides minimal short term benefit for people with osteoarthritis. These results support the reconsideration of recommendations to use paracetamol for patients with low back pain and osteoarthritis of the hip or knee in clinical practice guidelines". Vom Management spinaler Schmerzen ["management of spinal pain"] ist auf einmal gar keine Rede mehr. Mir sind keine validen Daten bekannt, dass ausgerechnet eine Osteoarthritis des Hüft- oder Kniegelenks, auch als aktivierte Arthrose bekannt, und spinale Schmerzen n i c h t mit Cox-1 und Cox-2-Inhibitoren, NSAR wie Naproxen, Ibuprofen bzw. orthopädischerseits bevorzugt mit Diclofenac und Kortison, sondern n u r und ausschließlich mit Paracetamol behandelt werden sollten? Wenn man nicht gleich zu Physiotherapie, REHA-Sport und aktivierenden, Muskel aufbauenden Maßnahmen bei gleichzeitiger Gewichts- und Risikofaktoren-Reduktion rät? Manualtherapie mit „Einrenken“, Neuraltherapie mit Infiltration der kleinen Wirbelgelenke, therapeutische Lokalanästhesie bis zu CT-gestützter peri-radikulärer Therapie (PRT) kämen noch hinzu. Die Nationale Versorgungs-Leitlinie Kreuzschmerz schreibt in der Kurzfassung etwas sybillinisch:
6-1 Bei leichtem bis moderatem akutem nichtspezifischem Kreuzschmerz kann ein Behandlungsversuch mit Paracetamol bis zu einer maximalen Tagesdosis von 3 g unternommen werden. Der Behandlungserfolg ist kurzfristig zu überprüfen. Unter
6-2 wird der Einsatz von Paracetamol bei subakutem und chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz nur unter einschränkenden Kautelen diskutiert.
6-3 Bei akutem bzw. in 6-4 chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz sollten tNSAR zur Schmerzlinderung in limitierter Dosierung eingesetzt werden.
6-5 Bei tNSAR-Behandlung und gleichzeitig existenten gastrointestinalen Risiken sollte die prophylaktische Gabe eines Protonenpumpenhemmers erfolgen.
6-8 Cox-2-Hemmer können unter Berücksichtigung der Warnhinweise bei akutem und chronischem nichtspezifischem Kreuzschmerz eingesetzt werden, wenn tNSAR kontraindiziert sind oder nicht vertragen werden („off label use“). Modifiziert nach NVL Kreuzschmerz Kurzfassung 06. August 2013, Version 4 als pdf-Datei
http://www.leitlinien.de/mdb/downloads/nvl/kreuzschmerz/kreuzschmerz-1aufl-vers4-kurz.pdf
So bleibt das Paracetamol-"Bashing" vordergründig: Ob mit oder ohne Medikation, orthopädischer 'Mischspritze', kraniosakraler Therapie, physiotherapeutischer Intervention, osteopathischer Manipulation; der unspezifische untere Rückenschmerz („low back pain“) heilt in der Mehrzahl der Fälle auch spontan aus. Handwerker, die einmal in gebückter Zwangshaltung Gewerke ausführen mussten, wissen davon ein Lied zu singen. Und nehmen 2 Paracetamol-Tabletten, um am nächsten Tag wieder arbeiten zu können.
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