Was in einem der medizinischen Fettaugen der Welt, sprich Deutschland, möglich wäre, ist weit entfernt. Was tun bei einem schmutzigen Unterarmdurchschuss mit Knochenfraktur?
In der Morgenbesprechung wird eine neue Schussverletzung vorgestellt: 35-jähriger Mann mit Unterarmdurchschuss. Die übliche Begründung: er sei seinen vom Nachbarstamm geklauten Kühen hinterhergegangen und angeschossen worden. Auf dem OP-Programm noch neun andere abzuarbeitende Punkte. Ein Blick aufs Röntgenbild: komplette Trümmerfraktur des Unterarms, in schiefer Stellung. Die Chirurgin denkt: keine Frage, der Bruch ist bereits 2 Tage alt, deshalb muss der Patient sofort in den OP.
Allerdings: der Patient hat aus Versehen bereits gefrühstückt. Wenn auch nicht viel. Also wird die OP auf den Nachmittag verschoben, unter großem Zähneknirschen der Anästhesie und ein wenig der Schwestern, die am Nachmittag ihren Sterilisator fertigbekommen wollen. Natürlich frage ich den Patienten, ob er sich verlegen lassen will, aber leider ist die nächste gute Unfallchirurgie viele Stunden und vor allem viel Geld weit entfernt, sodass das nicht infrage kommt.
Am Nachmittag um 17 Uhr endlich im OP. Da das Sammelsurium von Fixateurteilen (Fixateur externe wäre bei der schweren Weichteilverletzung eigentlich die Methode der Wahl) nur zu große und schwere Verbindungsstücke hergibt, es keinen Bildwandler gibt und auch der einheimische Kollege, wie er sagt, noch nie einen angelegt hat, bleibt die Beschränkung auf eine gründliche Wundreinigung.
Die Ausschusswunde ist schmutzig, die zerfetzte Faszie hängt heraus. Säuberung, so gut es geht, ohne den Unterarm zu viel zu bewegen, exzessives Spülen, dann, als zweite Möglichkeit: eine Gipsschiene. Allerdings hat das Orthopedic department, wo der Gips lagert, bereits geschlossen. Also auch kein Gips? Wie den Arm stabilisieren, damit Ruhe hineinkommt? Eine Metallschiene ist noch aufzutreiben, die von dem OP-Pfleger liebevoll umwickelt und gepolstert wird, was den Vorteil hat, dass man die Querstreben für eine Konstruktion nutzen kann, um den Arm in Hochlagerung am Infusionsständer aufzuhängen. Die Chirurgin beschließt, am nächsten Tag eine Gipsschiene mit Fenstern zu konstruieren. Dann die Medikamente: eigentlich bräuchte es etwas zum Abschwellen. Diclofenac ist aber out of stock. Ibuprofen wäre auch nicht schlecht, ist aber auch gerade aus. Ein Antibiotikum ist vorhanden und lässt sich ansetzen.
Am nächsten Tag folgt die Gipskonstruktion (und Diclofenac ist wieder zu haben): das vorhandene Material wird liebevoll hergerichtet, ein Wasserwännchen zum Patientenbett gefahren (es ist kein Raum frei, wo man's sonst machen könnte, so haben die 10 Mitpatienten in dieser Ecke ein bisschen Unterhaltung), alle Zutaten sind vorhanden, ebenso mindestens 4 Schwestern und Pfleger zum Übersetzen (dem Patient muss in seiner Sprache erklärt werden, warum das Ganze stattfindet und worauf er unbedingt achten muss), Wunde desinfizieren, Arm-in-Position-halten, Watte-richten, Fenster-in-den-Gips-schneiden.
In der Tat haben die Schwestern auch deutlich Erfolg mit ihrer Wundversorgung, noch 80 % der vorhandenen, bei der Visite inspizierten Wunden sehen wirklich sauber und gut heilend aus. Insgesamt kann man aber nur hoffen, dass der Patient kein Falschgelenk oder eine Knochenhautentzündung entwickelt. Die Chirurgin ist glücklich, wenn der wieder nach der Narkose aufgewachte Patient alle Finger spürt und bewegen kann und meint, die Schmerzen seien erträglich. Man denkt, das kann eigentlich gar nicht sein und wartet auf die Katastrophe.
Zwei Wochen später: die Wunden sehen reizlos und sauber aus, auch der Gips hat gehalten. Vielleicht wird's doch noch recht?
Bildquelle (Außenseite): Carl Wycoff, flickr / CC by