Für Patienten mit Zöliakie ist eine lebenslange glutenfreie Ernährung von entscheidender Bedeutung. Aber auch immer mehr Menschen ohne Glutenunverträglichkeit entscheiden sich für eine solche Diät, weil sie sich davon gesundheitliche Vorteile versprechen. Dabei ist der Nutzen rein spekulativ.
Wer an einer gluteninduzierten Enteropathie (Zöliakie) leidet, muss bei seiner Ernährung auf alle Produkte verzichten, die sogenannten Weizenkleber enthalten, ein Gemisch aus Proteinen, die in bestimmten Getreidesorten wie Weizen, Dinkel, Gerste oder Roggen vorkommen, da diese bei den Betroffenen einen Entzündungsprozess auslösen, welcher zu einer mehr oder weniger ausgeprägten Dünnatrophie führt. Die Prävalenz für eine Glutenunverträglichkeit wird in Deutschland mit etwa 1:500 angegeben.
Wer sich einmal die Mühe macht, die Zutatenliste verschiedenster Lebensmittel durchzulesen, wird – manchmal erstaunt – entdecken, in wie vielen diese Getreidearten enthalten sind: nicht nur in Backwaren, Panaden oder Nudeln, sondern beispielsweise auch in manchen Backofenfritten. Da wird das Essen zum Spießrutenlauf. Dass dies eine Einschränkung der Lebensqualität bedeuten kann, ist leicht nachvollzehbar, auch wenn es für viele Lebensmittel entsprechende Alternativen gibt, aber beispielsweise nur selten in Restaurants. Glücklicherweise erhält man mittlerweile viele glutenfeie Frisch- und Fertigprodukte nicht nur im Reformhaus, sondern auch im normalen Einzelhandel, wenn auch häufig zu einem erhöhten Preis.
Umso erstaunlicher erscheint der aus den USA zu uns herüber schwappende Trend, dass es auch einen zunehmenden Anteil eigentlich Gesunder gibt, die sich bewussts glutenfrei ernähren. Und so liegen auch glutenfreie Produkte im Trend und füllen mit zweistelligen Zuwachsraten die Supermarktregale, obwohl nur einer von vier Konsumenten dieser Lebensmittel tatsächlich eine Zöliakie hat. Stars wie Lady Gaga, Gwyneth Paltrow oder Miley Cyrus gehen als Vorbilder voran und machen glutenfreie Nahrungsmittel zu Lífestyleprodukten, die Gesundheit, Schönheit und Jugendlichkeit versprechen.
Hierbei spielen wahrscheinlich kuriose Aussagen eine Rolle, bei denen über einen Zusammenhang von Gluten und Autismus, Adipositas, Reizdarm, verminderter Leistungsfähigkeit und Konzentrationsstörungen ("Brain Fog"), Migräne, Hautproblemen, Fibromyalgie, Depressionen, Parästhesien in den Beinen, Schlafstörungen oder einer Hashimoto-Thyreoiditis spekukliert wird. Wenn man sich die angeblichen "5 Zeichen, dass du eine Glutensensitivität hast" durchliest, stellt man fest, dass für praktisch jeden das eine oder andere Symptom dabei ist.
Leiden wir also alle an dieser Störung oder wird hier der Hypochondrie und der Geschäftemacherei Tür und Tor geöffnet?
Fest steht, dass die Non-Coeliac Gluten Sensitivity (NCGS) ein 2011 von einem internationalen Expertengremium offiziell als Konsensusbeschluss ins Leben gerufenes Krankheitsbild im Sinne einer Lebensmittelunverträglichkeit ist. Die wissenschaftliche Grundlage hierfür war eher mager.
Valide Pathomechanismen, die diese Symptome ursächlich auf Gluten zurückführen, konnte bisher kein Wissenschaftler entdecken. Manche Untersuchungen legen nahe, dass Entzündungsprozesse im Darm der Auslöser sein könnten, andere wiederum belegen das Gegenteil. Die Studienlage ist widersprüchlich: Einzelne Studien deuten darauf hin, dass Glutensensitivität eine abgeschwächte Form der Zöliakie sein könnte, andere Ergebnisse scheinen genau dies zu widerlegen. In der Regel finden sich auch keine objektivierbaren Untersuchungs- oder Laborparameter wie bei einer Allergie oder Zöliakie typische Antikörper, die helfen könnten, den Glutensensitiven vom Nicht-Sensitiven zu unterscheiden. Weder eine Allergie, noch Auto-Immunprozesse spielen eine Rolle und sind sogar per Definition der NCGS ausgeschlossen. Es handelt sich um eine Diagnose per exclusionem, deren Befürworter ungefähr so argumentieren: Wem die Ernährungsweise hilft, der hat die Krankheit.
Und so stellen viele der angeblich Betroffenen eine NCGS selbst bei sich fest, anstatt sich medizinisch abklären zu lassen. Mit evidence based Medicine hat dies nichts zu tun.
Dabei kommt hierbei der psychosomatische Faktor erschwerend hinzu: Der Placeboeffekt kann so ausgeprägt sein, dass Menschen unter einer glutenfreien Diät tatsächlich beschwerdefrei werden. In einer Studie bekamen jedoch Probanden anschließend angeblich glutenhaltige, tatsächlich aber glutenfreie Testnahrung und entwickelten in der Hälfte der Fälle trotzdem Beschwerden. In einer Vielzahl der Fälle könnte das zugrunde liegende Problem also eher im Kopf als auf dem Teller der Patienten zu finden sein.
Die US-Gesundheitsbehörde FDA geht deshalb inzwischen davon aus, dass nicht jeder fünfte, sondern höchstens jeder zweihundertste Amerikaner an einer echten Unveträglichkeit leidet. In Europa werden die Werte ähnlich niedrig zu sein.
Die Existenz einer solchen nicht-zöliakischen Glutensensitivität ist somit umstritten. Neuere Studien deuten vielmehr darauf hin, dass es sich bei dabei um keine pathophysiologische Reaktion auf Gluten handelt, sondern allenfalls andere Inhaltsstoffe oder ein Nocebo-Effekt die Ursache sind. Es gibt sogar Untersuchungsergebnisse, die den Schluss nahe legen, dass das Gluten möglicherweise fälschlich beschuldigt wurde: Eine Studiengruppe gab 37 Versuchspersonen nicht nur glutenfreie Kost, sondern auch weniger vom Darm schlecht resorbierbare und blähende Kohlenhydrate, weniger Milchprodukte und Lebensmittelchemikalien und achtete auf Kalorien- und Ballaststoffzufuhr. Das Ergebnis: Unabhängig davon, ob sie nach der Diät blind mit glutenhalitiger, glutenarmer oder glutenfreier Kost ernährt wurden, ging es angeblich glutensensitiven Patienten immer gleich gut, respektive schlecht. Ein signifikanter glutensensitiver Effekt sei nicht nachweisbar gewesen, so das Ergebnis der Studie.
Reizdarmbeschwerden könnten daher eher auf ballaststoffreiche, blähende oder andere schwer verdauliche Nahrungsmittel wie zum Beispiel sogenannte FODMAPs (Fermentable Oligo- Di- Monosaccharides and Polyols) zurückzuführen sein. Der menschliche Verdauungstrakt ist eben unter anderem nicht wirklich auf die Verarbeitung von Rohkost oder Vollkornprodukten ausgelegt.
Beim Glutenfrei-Hype handelt sich also wahrscheinlich um eine Modeerschienung.
Food for thought.
Literatur:
Biesiekierski JR, Iven J. Non-coeliac gluten sensitivity: piecing the puzzle together (2015). United European Gastroenterol J. 3: 160–165.
Biesiekierski JR, Newnham ED, Shepherd SJ et al. Characterization of Adults With a Self-Diagnosis of Nonceliac Gluten Sensitivity (2014). Nutr Clin Pract 29: 504-509.
Biesiekierski JR, Peters SL, Newnham ED et al. No Effects of Gluten in Patients With Self-Reported Non-Celiac Gluten Sensitivity After Dietary Reduction of Fermentable, Poorly Absorbed, Short-Chain Carbohydrates (2013). Gastroenterology 145: 320–328.
Laforest L. A balanced look at gluten sensitivity (2014). Scienced-Based Medicine.
Abbildung: Wikipedia