Eine Ernährung mit wenig Proteinen bringt die Verbrennung von Kohlenhydraten in Schwung und steigert so den Energieverbrauch. Das zeigt eine aktuelle Studie an Mäusen. Bei fettleibigen Tieren bildeten sich unter dieser Diät sogar Insulinresistenzen zurück.
Die Zahl der übergewichtigen Menschen in Deutschland steigt immer mehr an. Mangelnde körperliche Aktivität und veränderte Ernährungsgewohnheiten gelten als Hauptursache für den Anstieg des durchschnittlichen Körpergewichts. Mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit: Insbesondere starkes Übergewicht erhöht deutlich das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Typ2-Diabetes. Seit vielen Jahren streiten sich Experten deshalb über die richtige Ernährungsform, mit deren Hilfe es fettleibigen Menschen gelingen könnte, das Körpergewicht dauerhaft zu verringern. War der Blick bislang meist auf die einseitige Minimierung von Fett oder Kohlenhydraten gerichtet, gerät in neuester Zeit eine möglichst ausgewogene Zusammensetzung der Ernährung aus Fetten, Kohlenhydraten und Proteinen in den Mittelpunkt des Interesses. Doch die Suche nach der optimalen Mischung gestaltet sich nicht so einfach: „Besonders, was die Proteine betrifft, gibt es widersprüchliche Hinweise“, sagt Adam Rose, Leiter einer Forschungsgruppe am Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Einerseits gibt es Beobachtungen, dass Menschen bei proteinarmer Diät insgesamt mehr essen, um die erforderliche Eiweißmenge zu erreichen.“ Anderseits, so Rose, belegten epidemiologische Studien, dass ein hoher Proteinanteil in der Ernährung mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für Diabetes einhergehe.
Um herauszufinden, was eine proteinreduzierte Ernährung auf molekularer Ebene bewirkt, starteten Rose und seine Mitarbeiter eine Studie, in deren Rahmen sie Mäuse über einen Zeitraum von 16 Wochen auf unterschiedliche Weise fütterten. Wie die Forscher in einem Artikel in der Zeitschrift The Journal of Clinical Investigation schreiben, erhielt eine Hälfte der Tiere eine proteinarme Diät, bei der die Proteine fünf Prozent der Gesamtkalorien ausmachten. Die andere Hälfte der Tiere bekam dagegen normales Mäusefutter, bei dem die Proteine 20 Prozent der Gesamtkalorien ausmachten. Obwohl die Tiere unter proteinarmer Diät insgesamt etwas mehr fraßen, nahmen sie bei gleicher körperlicher Aktivität deutlich langsamer an Gewicht zu als ihre normal gefütterten Artgenossen. Die Forscher stellten fest, dass die proteinarm ernährten Mäuse ihr Futter um 40 Prozent weniger effizient verwerteten als die Kontrollmäuse. Die Tiere verbrannten mehr Fett und Kohlenhydrate und hatten so einen gesteigerten Energieverbrauch. Nun wollte das Team um Rose wissen, ob sich der hohe Energieverbrauch günstig auf den Stoffwechsel der proteinarm ernährten Tiere ausgewirkt hatte. Als die Forscher die Blutwerte der Tiere beider Gruppen bestimmten, stellten sie deutliche Unterschiede fest: Die proteinarm ernährten Tiere hatten nicht nur weniger Cholesterin und Fett im Blut sondern auch viel weniger Insulin als die Kontrolltiere. „Trotz des höheren Konsums von Kohlenhydraten benötigen die Mäuse unter der proteinarmen Diät weniger Insulin“, berichtet Rose. „Dafür produzierten ihre Lebern mehr FGF21 – ein Protein, von dem bekannt ist, dass es die Aufnahme von Glukose in Fettzellen anregt.“
Dass FGF21 eine entscheidende Rolle für den verbesserten Zuckerstoffwechsel spielt, bewiesen die Forscher um Rose mithilfe von Mäusen, die sie durch einen gentechnischen Eingriff so veränderten hatten, dass deren Leberzellen FGF21 nicht mehr herstellten konnten: Bei den Tieren hatte die proteinarme Diät keinen positiven Einfluss auf den Stoffwechsel: „Sie reagierten nicht mehr auf die proteinarme Diät“, sagt Rose. „Die gentechnisch veränderten Tiere zeigten den gleichen Gewichtzuwachs wie die Tiere mit normaler FGF21-Produktion und die positiven Effekte auf den Stoffwechsel waren verschwunden.“ Der FGF21-Spiegel im Blut der Mäuse war unter der proteinarmen Diät nicht konstant: Er im schoss immer dann in die Höhe, wenn die Mäuse ihre proteinarme Futterration verzehrt hatten und fiel danach wieder ab. Verursacht wurde dieser Anstieg durch eine zentrale Stressreaktion in der Leber. Als Rose und seine Mitarbeiter die Stressreaktion pharmakologisch unterbanden, sanken die FGF21-Werte sofort. In weiteren Experimenten fanden die Forscher zudem heraus, dass für die günstigen Auswirkungen der proteinarmen Ernährung nicht alle Proteinbausteine gleichermaßen verantwortlich sind: Vor allem der Mangel an den Aminosäuren Glutamin, Glutamat, Asparagin, Aspartat und Alanin, die der Körper alle selbst herstellen kann, erhöhte den FGF21-Spiegel. Ergänzten die Forscher die proteinarme Diät um diese Aminosäuren, kam es zu einem wesentlich geringeren Anstieg der FGF21-Werte. Die proteinarme Diät scheint auch therapeutisches Potenzial zu haben: Als Rose und sein Team fettleibige Mäuse auf diese Diät setzten, verringerte sich das Körpergewicht der Tiere nicht. Dennoch verbesserten sich ihre Blutzucker-Werte und auch zuvor bestehende Insulinresistenzen bildeten sich zurück.
Da sich Ergebnisse aus Mausversuchen nicht immer eins zu eins auf den Menschen übertragen lassen, baten Rose und seine Kollegen fünf gesunde Männer, sich sieben Tage lang proteinarm zu ernähren: Im Anschluss maßen die Forscher bei den Teilnehmern hohe FGF21-Werte, dagegen trotz erhöhter Kohlenhydratzufuhr niedrigere Blutzucker- und Insulinspiegel. „Die proteinarme Diät wirkt sich bei Menschen ähnlich aus wie bei Mäusen“, berichtet Rose. Er gibt jedoch zu, dass die kurze Dauer und die Anzahl der Probanden die Aussagekraft der Daten einschränken. Deswegen plant er eine länger gehende Folgestudie mit mehr Teilnehmern, die in Kürze beginnen soll. Andere Experten raten zur Vorsicht: „Die neue Studie bestätigt, dass hohe FGF21-Werte den Stoffwechsel verbessern, doch diese sind auch ein Ausdruck für metabolischen Stress, der mit einem erhöhten Risiko für Diabetes und kardiovaskuläre Erkrankungen einher geht“, sagt Andreas Pfeiffer, Leiter der Abteilung Klinische Ernährung am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam und Leiter der Abteilung für Ernährungsmedizin, Endokrinologie und Diabetes am Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin. „Eine proteinarme Ernährung führt zu metabolischem Stress. Wenn der Körper durch die Ernährung nicht genügend Aminosäuren erhält, mobilisiert er sie durch den Abbau von Zellbestandteilen.“ Menschen, die zu wenige Proteine zu sich nähmen, so Pfeiffer, hätten eine geringere Muskelmasse, die wiederum mit Gebrechlichkeit und einer kürzeren Lebenserwartung korreliere. Nach Ansicht des Ernährungsexperten ist es deshalb fraglich, ob Menschen wirklich davon dauerhaft profitieren, wenn sie Proteine aus ihrer Ernähung weglassen und dafür mehr Kohlenhydrate und Fette essen.
Doch auch eine proteinreiche Ernährung, wie sie viele Low-Carb-Diäten vorschreiben, scheint nicht nur vorteilhaft zu sein. Eine epidemiologische Studie weist darauf hin, dass junge Erwachsene, die viel Protein essen, häufiger an Krebs erkranken, was in anderen Studien nicht bestätigt wurde. Allerdings kehrt sich dieser Effekt bei älteren Menschen wohl um. Für Pfeiffer ergibt sich aus den bisherigen Daten ein schlüssiges Szenario: In der Kindheit und im Alter könnten die schützenden Effekte einer hohen Proteinzufuhr überwiegen, im mittleren Lebensabschnitt bis zu einem Alter von ungefähr 45 Jahren dagegen die negativen Auswirkungen. Adam Rose geht deshalb davon aus, dass es in den mittleren Lebensjahren eine Art therapeutisches Fenster gibt, in dem sich eine proteinreduzierte Ernährungsform ohne zusätzliche Medikamente positiv auf die Gesundheit auswirken könnte.