Der Beruf des Arztes hat viele schöne und spannende Seiten. Jedoch gibt es, wie wahrscheinlich in jedem Beruf, einige Dinge, auf die man als Arzt gerne verzichten könnte. Angefangen bei überflüssigem Bürokratieaufwand bis hin zu bestimmten Untersuchungsmethoden und Krankheiten, die man so gar nicht leiden kann.
Brandenburg im Hochsommer. Die Praxis hat in der Nachmittagssprechstunde kuschelige 28° Innentemperatur erreicht. Was leider eine Nebenwirkung der erhöhten Temperaturen ist: alle Gerüche, vor allem die menschlichen, werden intensiver. Die wetterbedingte erhöhte Ausscheidung von Körperflüssigkeiten, vor allem Schweiß, bringt auch keine Verbesserung der Praxisluft.
In diesem Klima arbeite ich so vor mich hin und hoffe auf den Feierabend. Oder ein kühlendes Sommergewitter. Was auch immer zuerst kommt. Die Tür geht auf und der nächste Patient kommt herein. Er hätte Probleme mit seinen Ohren und würde nur noch so dumpf hören. Ich ahne Schlimmes: Wahrscheinlich ist es ein Ceruminalpfropf, der den Gehörgang verlegt und so das Hören vermindert.
Ein kurzer Blick in das Ohr des Patienten mit meinem Otoskop offenbart mir nicht nur einen großen, sehr großen Stopfen im Ohr, meine Nase nimmt zeitgleich den strengen Geruch das Patienten auf. Offensichtlich hat er es nicht mehr geschafft, heute zu duschen. Oder gestern, wenn man nach dem Ausmaß des Geruches geht.
Normalerweise ist eine der Schwestern so gnädig und übernimmt die Ohrenspülungen. Doch leider hat sie zurzeit Urlaub. Ohrenspülungen mit so einer großen Wasserspritze sind nämlich eins der wenigen Dinge, die ich überhaupt nicht gerne mache. Überhaupt nicht. Und schon gar nicht mache ich sie im Hochsommer.
Aber es nützt nichts, der Patient hat ein Problem und erwartet Hilfe. Mit Unterstützung einer anderen Schwester fange ich an zu spülen. Große braune Brocken lösen sich unter dem Wasserdruck aus dem Ohr, eins fliegt nur knapp an meinem Gesicht vorbei. Meine Gefühlslage kann ich klar in dem Gesicht der Schwester ablesen, die hinter dem Patienten steht. Die Glückliche, außerhalb des Spritzkreises der Ohrfüllung.
Vorsichtig atme ich meine leicht aufkommende Übelkeit weg und kontrolliere das Ohr. Immer noch ist viel Cerumen zu sehen. Also noch einmal spülen. Und noch einmal. Und noch einmal. Immer noch lösen sich Cerumenstücke. Das kleine Labor wird immer heißer, der Eigengeruch des Patienten immer intensiver. Meine Übelkeit erreicht langsam das Würgelevel. Nach langen, langen 20 Minuten sind wir endlich fertig und ich kann dem Raum und dem Patienten entfliehen.
Ich kehre zurück in mein Sprechzimmer und hoffe, dass es die erste und einzige Ohrspülung in dieser Woche war. Eine Stunde später, gegen Sprechstundenende, wird diese Hoffnung jäh zerstört. Die Frau des Patienten, dem ich so gründlich die Ohren gesäubert habe, ist da. Sie habe die selben Probleme. Nicht nur auf einem Ohr, sondern auf beiden.
Ein kurzer Blick bestätigt mir, sie hat leider Recht. Außerdem riecht sie nur unwesentlich besser als ihr Mann. Also wieder ins Labor, selbe Prozedur. Nachdem auch ihre Ohren, endlich, endlich gesäubert sind und meine Übelkeit leicht nachgelassen hat, sagt die Schwester zu mir, siehst du, hättest du mal was anständiges gelernt. Ich kann ihr da nur zustimmen. Hätte ich mal.
Dasselbe denke ich auch jedes Mal, wenn jemand mit sehr, sehr ekligen Fußnägeln kommt. Teilweise halb abgelöst, noch gerade so hängend an einem sehr ungewaschenen, stinkenden Fuß. Auch bei sowas muss ich mich sehr zusammenreissen, um nicht zu würgen oder mir etwas anmerken zu lassen.
Manchmal, wenn es sehr extrem ist, bitte ich die Patienten höflich, bitte doch nächstes Mal mit gewaschenen Füßen zu kommen, aber Ausdrücke des Ekels verkneife ich mir vor dem Patienten. Die meisten Menschen denken eh, nur weil man Arzt ist, ist einem an menschlichen Vorgängen und Krankheiten nichts fremd und nichts eklig.
Das stimmt auch für vieles, aber meine Erfahrung ist, dass jeder Arzt seine persönliche Ekelgrenze hat. Bei dem einen sind es Nägel und Ohrspülungen, wie bei mir, bei einem Kollegen sind es faulige Zähne, bei einem anderen infizierte Wunden. Jeder hat so seine „Schwachstellen“, wir sind halt auch nur Menschen. Und auch wenn die meisten von uns unseren Beruf sehr mögen, gibt es auch immer wieder Situationen, in denen man sich sagt: „Hättest du nur was anständiges gelernt...“