In der nächsten Woche fliege ich in den Urlaub in die USA. Dort werde ich auch den niedergelassenen Pädiater wieder treffen, bei dem ich vor Jahren eine zweimonatige Famulatur absolviert habe. Wir sind bis heute freundschaftlich miteinander verbunden.
Wenn ich heute auf meine Famulaturen, das PJ, mein Studium und den Start ins Berufsleben zurückblicke, kann ich sagen, dass diese zwei Monate in den USA die lehrreichste Zeit meines gesamten Studiums waren.
Warum? Weil ich dort eine strukturierte, praxisnahe und spannende Lehre erhalten habe. Ich durfte immer erstmal alle Patienten allein untersuchen, bevor ich sie dann noch einmal mit dem Arzt gemeinsam untersuchte. Außerdem haben wir uns anschließend immer hingesetzt und anhand von praktischen Beispielen die Theorie durchgesprochen. Aber nicht nur das: Der Pädiater hat sich auch aufgeschrieben, worüber wir gesprochen haben und mich ein paar Tage später nochmal danach gefragt. Manchmal hat er mich auch gebeten, dieses oder jenes nachzuschauen oder zuhause nachzulesen und es ihm am nächsten Tag zu erklären. Nicht, weil er es selbst nicht wusste, sondern weil ihm bewusst war, dass sich neues Wissen am besten einprägt, wenn man es einem anderem erklären muss.
Dies alles hat er getan, ohne dass er dafür Geld oder eine Aufwandsentschädigung in irgendeiner Form erhalten hätte. Er hat mich sogar zusätzlich noch regelmäßig zum Lunch eingeladen und mir die Gegend gezeigt. Als ich ihm gesagt habe, dass das nun wirklich nicht nötig sei, hat er geantwortet, er habe als Student auch einmal eine gute Ausbildung erhalten und sei gefördert worden. Nun wolle er das zurückgeben.
Zurück in Deutschland habe ich vergleichbare Strukturen gesucht und bis heute leider keine gefunden. Im Gegenteil: Lehre in Deutschland bedeutet, dass man oft Glück haben muss, damit man in der Klinik oder Praxis jemanden findet, der kurz Zeit und Muße findet, den armen Studenten und Assistenten etwas zu erklären und Wissen weiterzugeben. In meiner Studentenzeit an einer sehr großen Uniklinik in Deutschland bedeutete Unterricht am Krankenbett oft, dass wir zu zehnt in ein Vierbettzimmer geschickt wurden. Dort sollten wir dann mal ein bisschen Anamnese machen. Mit etwas Glück konnten wir auch noch einen Einblick in die Krankenakte werfen, aber nur, wenn sie gerade nicht von den Schwestern oder Stationsärzten gebraucht wurde. In ganz seltenen Fällen nahm sich der Oberarzt – zwischen dem Telefonieren und Fragen beantworten auf seiner Station – kurz Zeit für uns. Oft musste er aber irgendwo hin, wo es Wichtigeres zu tun gab, als Studenten zu unterrichen. Und dann blieb nur der arme Stationsarzt übrig, der uns Studenten manchmal nur das Examen voraus hatte.
Auch in Famulaturen und im PJ war gute Lehre leider Glückssache und stark vom persönlichen Engagement der Studenten abhängig. So mussten sich die Studenten während eines PJ-Tertial in einem kleineren Krankenhaus zusammen tun und massiv Druck ausüben, damit unsere wöchentliche PJler-Ausbildung nicht jedes Mal ausfiel oder aber wieder nur vom Assistenten gehalten wurde. Der hatte schließlich die geringste klinische Erfahrung.
Ich mache den meisten Lehrenden, die ich während meines Studiums kennengelernt habe, gar keinen Vorwurf. Sie konnten es gar nicht besser machen. Das System lässt es nicht zu. Wenn man vor Personalmangel und Einsparungskosten in Arbeit erstickt, versucht man natürlich zuerst den Patienten gerecht zu werden. Das ist auch vollkommen richtig so. Gerade an einer Uniklinik kommt dann oft auch noch die Forschung dazu, sodass die Lehre als drittes Feld zu kurz kommt.
Auch in einer Praxis war die Lehre nicht wirklich besser. Da kam es besonders darauf an, in welcher Praxis man gelandet ist. Aus vielen Gesprächen weiß ich, dass die Lehre in der Praxis sehr unterschiedlich sein kann. Von sehr guter Lehre bis zu gar keiner Lehre bewegt sich hier die Bandbreite. Die Notwendigkeit guter Lehre besteht nicht nur in der Studentenzeit, sondern setzt sich auch in der Zeit als Arzt in der Weiterbildung fort und wird dort eigentlich noch einmal wichtiger.
Bei der Ausbildung der Assistenten steht dann noch nicht einmal mehr die Uni im Hintergrund, die vielleicht durch Evaluationen oder finanzielle Anreize noch gute Lehre fördert. Was die Lehre angeht, trennt sich in der Assistenzarztzeit die Spreu vom Weizen.
Es ist schade, dass es in Deutschland oft immer noch Glückssache ist, ob man als Student oder junger Arzt eine gute praktische Ausbildung und Lehre erhält. Hauptsächlich ist eine schlechte Ausbildung, gerade im Krankenhaus, der großen Arbeitsbelastung geschuldet. Da versucht jeder einfach nur zu überleben. Auch in einer Praxis ist das häufig der Fall.
Wenn ich daran zurückdenke, wie wenig Patienten mein amerikanischer Arzt am Tag behandelt hat und damit den deutschen Kinderarzt, bei dem ich auch eine Weile hospitiert habe, vergleiche, ist das ein Unterschied wie Tag und Nacht. Außerdem mangelt es hierzulande an der entsprechenden Lehr-Mentalität: Wenn man selbst nur wenig gute Lehre in seiner Ausbildung erfahren hat, dann ist es auch schwer, selbst gute Lehre zu machen.
Da ist noch viel Luft nach oben in Deutschland. Und ich möchte später, wenn ich älter bin, nicht von einem Arzt behandelt werden, der sich das meiste, mangels besserer Alternativen, selbst beigebracht oder ergoogelt hat. Deshalb setze ich mich aktiv für eine bessere Lehre an meiner alten Uni und auch in meiner beruflichen Umgebung ein. Damit jetzige und zukünftige Studenten nicht mehr ins Ausland gehen müssen, um dort die beste Lehre zu erhalten.