In der aktuellen Ausgabe des renommierten britischen Medizinjournals Lancet (publiziert am 19. September 2015) erschien ein bemerkenswertes Editorial mit dem Titel „Alzheimergate? When miscommunication met sensationalism“ (übersetzt etwa: „Alzheimergate: Wenn Fehlkommunikation und Sensationslust zusammenkommen“).
Darin wird Bezug genommen auf einen Artikel, der am 10. September 2015 im nicht minder renommierten Wissenschaftsmagazin Nature publiziert wurde, und der für viele Journalisten offenbar nahelegte, dass die Alzheimer-Krankheit von Mensch zu Mensch übertragbar, also ansteckend, sei. Was war geschehen?
Die Arbeitsgruppen um die Londoner Wissenschaftler John Collinge und Sebastian Brandner hatten die Gehirne von acht Personen untersucht, die im Alter zwischen 36 und 51 Jahren an der sog. iatrogenen Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (iCJD) verstorben waren. Mehr als 200 Personen sind an der iCJD erkrankt, nachdem sie – typischerweise in der Kindheit – mit Wachstumshormon aus menschlichen Hypophysen, die aus Leichen gewonnen worden waren, behandelt worden waren. Wie man heute weiß, waren diese Hypophysen mit Prionen kontaminiert. Obwohl diese Praxis etwa 1985 eingestellt wurde, gibt es wegen der langen Inkubationszeit der Erkrankung bis heute neue Erkrankungsfälle.
In vier von acht der untersuchten Gehirne fanden die Londoner Wissenschaftler mäßige bis schwere Ablagerungen von Amyloid-β, wie es für die Alzheimer-Krankheit typisch ist. Keiner dieser Patienten wies Mutationen auf, die zu einer Alzheimer-Demenz mit frühem Beginn prädisponiert hätte, und keiner wies einen ApoE ε4-Genotyp auf. In einem Kontrollkollektiv von 116 mindestens genauso alten Patienten mit anderen Prionenerkrankungen fanden sie nur minimale oder keine entsprechenden Veränderungen.
Experimentell hatte man schon durch Inokulation von Homogenaten aus Alzheimergehirnen bei transgenen Mäusen und Primaten die typische Alzheimer-Pathologie induzieren können. So lag es nun nahe, dass die Autoren ihren Artikel mit dem folgenden Titel überschrieben: „Evidence for human transmission of amyloid-β pathology and cerebral amyloid angiopathy“ (übersetzt etwa: „Evidenz für die humane Übertragbarkeit von Amyloid-β-Pathologie und cerebraler Amyloid-Angiopathie“). In ihrem Abstract gehen die Autoren sogar noch weiter, indem sie davor warnen, dass „gesunde exponierte Personen auch dem Risiko der iatrogenen Alzheimer-Krankheit und der zerebralen Amyloid-Angiopathie ausgesetzt seien“. In ihrem Editorial weisen die Herausgeber des Lancet jetzt darauf hin, dass sie fünf Tage vor der Veröffentlichung des Artikels in Nature von einem Regierungsvertreter kontaktiert worden seien, der wegen einer möglichen Reaktion der Öffentlichkeit auf den Artikel besorgt gewesen sei. Obwohl das britische Sciene Media Centre in die angemessene Kommunikation des Artikels involviert gewesen sei, habe man beim Lancet angefragt, was dieser tun könne, um eine öffentliche Panikreaktion zu verhindern.
Dass die Sorge nicht unberechtigt war, zeigte sich dann am 10. September, dem Tag der Veröffentlichung des Artikels in Nature. Der britische „Independent“ titelte „Alzheimer ist möglicherweise eine übertragbare Infektionskrankheit“, der „Daily Mirror“ schrieb „Du kannst dich mit Alzheimer anstecken“ und der „Daily Express“ beschrieb die „Alzheimer Bombe“. Obwohl einzelne Medien wie die BBC versuchten, das Thema sachlich zu besprechen, war der generelle Ton der Medien eher alarmierend.
Auch die deutsche Presse griff das Thema auf. So titelte die „Zeit“: „Alzheimer könnte übertragbar sein.“ Auch der „Fokus“ schrieb „Neue Studie: Alzheimer könnte übertragbar sein“. Die „Welt“ titelte „Alzheimer unter bestimmten Bedingungen übertragbar“. „Der Tagesspiegel“ immerhin stellte fest „Oma ist nicht ansteckend“. Die „Zeit“ legte dann zwei Tage später noch nach mit dem Titel „Erst Panik machen, dann Medikamente verkaufen?“ In dem Artikel beschreibt der Verfasser, dass einer der Autoren des Nature-Artikels vor Jahren ein Medikament entwickelt habe, das die Übertragbarkeit von Prionen, zum Beispiel mit OP-Besteck, verhindern könne. Die Herausgeber des Lancet weisen nun in ihrem Editorial darauf hin, dass insbesondere der Titel des Nature-Artikels in die Irre führe. Man habe gar nicht die Übertragung der Amyloid-Pathologie von Mensch zu Mensch gezeigt. Die Studie zeige vielmehr lediglich, dass bei Patienten mit iCJD Amyloid-Pathologie, wie man sie bei der Alzheimer-Krankheit findet, auch beobachtet werden könne. Daraus auf die Übertragung der Erkrankung zu schließen, sei ein zu weit gehender Schluss. Die Studie zeige nicht, dass die untersuchten Patienten letztendlich wirklich die Alzheimer-Krankheit entwickelt hätten. Die Gehirne wiesen auch kein Tau-Protein auf, wie es für die Alzheimer Krankheit typisch ist. Von einem Paradigmenwechsel, von dem in vielen Veröffentlichungen der Presse die Rede war, könne überhaupt keine Rede sein. Letztlich habe die Pressereaktion zu einer unnötigen Angst geführt und jahrelange Anstrengungen zur Entstigmatisierung von Patienten zunichte gemacht.
Was können wir aus der Geschichte lernen? Zu Journalisten, die eine aufregende Story schreiben möchten, kommen manchmal Wissenschaftler, die in ihrem Streben nach Publicity ihre vermeintlich "objektiven" Erkenntnisse so verkaufen, dass sie am Ende ganz gehörig Schaden anrichten können.