Sich von einem Bein verabschieden zu müssen, ist schwer genug. Dann muss doch die Schmerztherapie wenigstens funktionieren, sollte man denken.
Der etwa 30-jährige John liegt bereits seit einigen Wochen auf der Station. Er kam mit einer großen, septischen Wunde am Fuß. Die Entzündung war so weit fortgeschritten, dass der einheimische Kollege den Unterschenkel bereits amputiert hatte. Aber auch diese Wunde heilte nicht und infizierte sich erneut, sodass eine Oberschenkelamputation durchgeführt werden musste. Und auch jetzt gibt es noch Wundheilungsstörungen: immer wieder entleert sich Flüssigkeit und John ist von Phantomschmerzen geplagt.
Die Medikamente werden angepasst, das Nahtmaterial wird teilweise entfernt. Die Wunde wird täglich gespült und frisch verbunden, zum Teil sogar mit den, im Spendenlager gefundenen, kostbaren Wundauflagen mit Silberanteil. Minimale Mengen gibt es davon, die nur in genau passenden Portionen verwendet w erden. Ein ziemliches Gebastel bei der Visite, aber es soll doch endlich wieder gut werden.
Den Schlauchverband wäscht John selbst und legt jeweils morgens das frisch gewaschene Verbandsmaterial bereit. Trotz allem ist er ein geduldiger, immer freundlicher Patient, der gerne lacht. Nach drei Wochen ist die Wunde endlich trocken. Wir überlegen, ob es eine Möglichkeit gibt, eine Prothese für ihn zu organisieren. Nach etlichen Telefonaten innerhalb des Landes wissen wir, dass es eine Hilfsorganisation in der Hauptstadt gibt, wo dies eventuell möglich wäre. Ob die Hilfe für den Patienten kostenfrei ist oder mit welchem Aufwand er rechnen muss, lässt sich aktuell aus der Ferne scheinbar nicht herausfinden. Aber John will sich dort vorstellen.
Wir planen die Entlassung. Der Patient teilt uns mit, sein Bruder könne ihn am Wochenende abholen. Wir bereiten alles vor. Die Verordnungen für die Apotheke werden geschrieben, denn er wird noch für einige Zeit Schmerzmittel brauchen. Am Montag ist er immer noch da. Sein Bruder könne erst am Mittwoch kommen, sagt er uns. Das ist kein Problem, er kann weiterhin sein Bett behalten.
Am Dienstag finden wir den Patienten bei der Visite weinend im Bett sitzen. Da das Pflegepersonal üblicherweise die Medikamente erst bei der Entlassung von der Apotheke abholt – also wenn der Patient bezahlt hat – hat John seit Freitag keine Schmerzmittel mehr erhalten. Da sein vorhandenes Geld nicht ausreicht, kann erst bezahlt werden, wenn der Bruder mit Nachschub eintrifft. Da John allein ist und es keinen gibt, der für ihn kocht, erhielt er bisher das für bedürftige Patienten gedachte Essen, das in der Küche bestellt werden muss. Hat er denn seit Freitag etwas zu Essen erhalten? Der Bettnachbar berichtet, John mit versorgt zu haben: Seit seiner offiziellen Entlassung kam kein Essen mehr aus der Küche.
Zuweilen ist das Management auf der Station optimierungsbedürftig. Man sollte alle Unwägbarkeiten im Kopf haben und jederzeit damit rechnen, das etwas nicht funktionieren könnte. Zusammen mit dem Pflegepersonal wird nun sichergestellt, dass John sowohl seine Medikamente als auch etwas zu essen bekommt – bis der Bruder eintrifft. Da der Patient nicht lesen kann, erhält er eine Liste mit Zeichnungen: Sonne und Mond weisen auf die Tageszeit der Einnahme hin, Punkte erläutern, wie viele von den (zum Glück auch äußerlich unterschiedlichen) aufgezeichneten Tabletten genommen werden sollen. Das Ganze wird besprochen und John bestätigt, dass er alles verstanden hat. Am nächsten Tag geht es ihm wieder besser. Und dann ist der Bruder da und endlich kann es wieder nach Hause gehen.