Die Strahlentherapie wurde lange Zeit stiefmütterlich behandelt. Das ist heute anders: Bestrahlungsgeräte funktionieren genauer denn je. Viele Patienten mit metastasiertem Krebs haben dadurch deutlich bessere Aussichten.
Jeder zweite Krebspatient erhält im Zuge seiner Behandlung neben Chemotherapien und/oder chirurgischen Eingriffen auch Bestrahlungen, berichtet der Krebsinformationsdienst. Die Indikationen sind vielfältig, etwa solide Tumore, Leukämien sowie Lymphome bei Erwachsenen oder Kindern. Neoadjuvante Bestrahlungen verkleinern Gewebe vor einer OP, und adjuvante Bestrahlungen senken nach der OP das Rezidivrisko. Anfangs arbeiteten Onkologen vor allem mit Gamma- oder Röntgenstrahlung. Später kamen Neutronenstrahlung sowie die Protonentherapie mit hinzu. Das Hauptziel sind die Chromosomen im Zellkern. Stärkere Schäden der DNA durch die Therapie führen dazu, dass sich Zellen nicht mehr teilen und schließlich in die Apoptose getrieben werden. Häufig fehlen auch Reparaturmechanismen, wie sie in nicht entarteten Körperzellen zu finden sind. Deshalb gehen maligne Zellen auch schneller zugrunde.
Hatte der Primärtumor gestreut, kam der Befund in den letzten Jahren für viele Krebspatienten einem Todesurteil gleich. Metastasen gingen oft mit palliativen Therapiekonzepten einher, während einzelne Tumore kurativ behandelt wurden. Das ist aus Sicht von Radioonkologen falsch: „Wir wissen mittlerweile, dass es Patientengruppen gibt, die zwar Metastasen haben, aber dank moderner Hochpräzisions-Radiotherapien geheilt werden können“, erklärt Professor Dr. Stephanie E. Combs von der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie (DGRO). Sie ist Direktorin der Klinik und Poliklinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie am Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München, und Direktorin des Instituts für innovative Radiotherapie, Helmholtz Zentrum München. „Strahlentherapien sind in den letzten Jahren immer zielgenauer geworden – wir arbeiten heute von der Präzision her im Submillimeterbereich“, sagt Combs. „Gleichzeitig können wir gesundes Gewebe besser schonen und Nebenwirkungen verringern.“ Aber auch das Verständnis der Erkrankung habe sich gewandelt, etwa bei Metastasen.
Stephanie E. Combs. Foto: Klinikum rechts der Isar, Technische Universität München Combs berichtet von einem neuen Konzept, Metastasen zu beurteilen. Haben Patienten maximal fünf bis acht Absiedlungen, sprich eine Oligometastasierung, stehen ihre Chancen gut. Dann arbeiten Nuklearmediziner mit der stereotaktischen Radiotherapie: Sie richten, unterstützt durch bildgebende Verfahren, Strahlung von mehreren Seiten punktgenau auf die Metastase. Lokal werden hohe Dosen erreicht, aber das umgebende Gewebe wird geschont. „Hier erzielt man mit Techniken der Präzisionsstrahlentherapie tatsächlich Langzeiterfolge im Sinne einer Heilung“, berichtet Combs. Beispielsweise haben rund 50 Prozent aller Patienten mit nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) nur wenige Absiedlungen im Sinne einer Oligometastasierung. Traten trotz erfolgreicher Erstlinien-Chemotherapie Metastasen auf, steigerte die lokale Bestrahlung das progressionsfreie Überleben auf 11,9 Monate. In einer Gruppe mit reiner Erhaltungstherapie waren es 3,9 Monate. Anders sieht die Sache bei Patienten mit multiplen Metastasen, also deutlich mehr als acht Absiedlungen aus. Es handelt sich molekularbiologisch betrachtet um eine eigenständige Gruppe mit deutlich schlechteren Prognosen. Wo genau die Grenze zwischen Oligometastasierung und multipler Metastasierung zu ziehen sei, wisse man derzeit nicht genau, so Combs.
Dr. Harun Badakhshi vom Centrum für Tumormedizin der Charité Universitätsmedizin Berlin vermutet, die Empfindlichkeit von Oligometastasen könne mit einer fehlenden Neubildung von Blutgefäßen zum Tumor, aber auch mit einer stärkeren immunologischen Kontrolle der Tumorzellen durch das umgebende Gewebe erklärt werden. Damit wäre die Oliometastasierung ein Zwischenstadium zwischen der lokalen und der systemischen Erkrankung (also multiplen Metastasen). Hier ist zwar noch viel Forschungsarbeit zu leisten. Eine Erkenntnis gilt aber schon heute: Metastasen müssen nicht immer palliativ therapiert werden wie zu früheren Zeiten. Combs hofft auf molekularbiologische Marker, um die Grenze zwischen Oligometastasen und multiplen Metastasen zu ziehen. Dann könnten deutlich mehr Patienten als momentan von ablativen Strahlentherapien als Kombination mit systemischen oder chirurgischen Therapien profitieren.
In anderen Bereichen spielen Marker schon heute eine wichtige Rolle, denkt man an innovative Pharmaka. Trastuzumab oder Lapatinib verbessern bei Mammakarzinomen mit dem Marker HER2/neu-Mutation die Prognose. Und EGFR-Inhibitoren wie monoklonale Antikörper oder Tyrosinkinaseinhibitoren kommen bei unterschiedlichen malignen Erkrankungen mit EGFR-Überexpression zum Einsatz. Wie Combs berichtet, spielen personalisierte Ansätze auch bei Strahlentherapien eine größere Rolle als noch vor einigen Jahren. Oropharynxkarzinome, die sich auf eine Infektion mit HPV-Viren zurückführen lassen, sind empfindlicher im Vergleich zur gleichen Krebsform, die von Tabakrauch oder Alkohol ausgelöst worden ist. Derzeit prüfen Experten, ob es möglich ist, beim HPV-assoziierten Oropharynxkarzinom mildere Therapien zum gleichen Erfolg führen. Auch bei Hirntumoren würden Therapien über die Molekularbiologie stratifiziert, so Combs. „Da führt unser weiterer Weg hin: Welche Bestrahlungsdosis oder Systemtherapie brauchen wir bei Patienten mit einer bestimmten Gensignatur?“
Auch alte und sehr alte Patienten stellen eine spezielle Patientengruppe dar, die durch demographische Trends an Bedeutung gewinnt. Experten sprechen vom „grauen Tsunami der Onkologie“: Die Lebenserwartung steigt in allen Industrienationen immer weiter. Zeitgleich gewinnt Krebs als typische Alterserkrankung an Bedeutung. Schätzungen zufolge wird bereits im Jahr 2020 jeder fünfte Patient über 80 sein. Nur gibt es für diese Altersgruppe bislang kaum valide Daten, da der Altersdurchschnitt in klinischen Studien zur Chemotherapie deutlich niedriger ist. Hinzu kommt das Problem der Multimorbidität. Eingeschränkte Nieren-, Lungen oder Leberfunktionen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus u.a. machen systemische Krebsbehandlungen zum Problem. Combs: „Der Strahlentherapie kommt hier eine besondere Bedeutung zu – sie ist effektiv und nebenwirkungsarm.“
Die Expertin erzählt nicht nur von wissenschaftlichen, sondern technischen Fortschritten. Bestrahlungsgeräte sind heute immer mit einer Möglichkeit zur Bildgebung kombiniert. Das können CTs, MRTs oder Röntgengeräte sein. Bislang mussten Onkologen anhand von Röntgen-, CT- oder MRT-Aufnahmen ihre Bestrahlung akkurat planen. Das bedeutete, Patienten vor bildbasierten Bestrahlungen exakt zu positionieren und gegebenenfalls sogar zu fixieren. Durch ihre Atmung oder Darmperistaltik verändern Tumore jedoch ihre Lage, und sei es nur um Bruchteile eines Millimeters. Ein neues Hybridgerät kombiniert bei der MR-geführten Radiotherapie (MRGRT, MR-guided radiotherapy) Linearbeschleuniger als Strahlenquellen mit MRTs zur Bildgebung. MRTs liefern kontrastreichere Bilder als CTs, um beispielsweise Tumorgrenzen darzustellen. Das System reagiert in Echtzeit auf Veränderungen und steuert die Strahlenquelle. Rutscht ein Tumor beispielsweise aus dem Strahlenfeld, wird die Bestrahlung kurzzeitig unterbrochen. Auch bei anatomisch schwierigen Lokalisationen von Tumore gelingen räumlich präzise Bestrahlungen.
Außerdem liefert das MRT Informationen zum Stoffwechselgeschehen im Krebsgewebe. Schlecht durchblutete Bereiche sind weniger strahlenempfindlich als gut durchblutete Regionen. Hier muss die Dosis gegebenenfalls angepasst werden. Solche Geräte wurden in Heidelberg und Tübingen installiert. Combs: „Die Technologie entwickelt sich gerade, bislang werden Patienten im Rahmen von Studien behandelt.“ Die Anschaffungskosten liegen derzeit bei rund acht Millionen Euro. Vorbereitung einer Patientin für die Behandlung im neuen MR-Linac-Hybridgerät © Universitätsklinikum Heidelberg Am 19. Juli war es dann soweit. In Heidelberg wurde die erste Patientin Europas mit dem neuen Kombinationsgerät „MR-Linac“ behandelt. Bei ihr konnten Metastasen im Bauchraum zielgenauer bestrahlt und die umliegenden Organe wie der Darm geschont werden. Parallel laufen methodische Forschungsprojekte. „Langfristig müssen die Patientengruppen identifiziert werden, die eindeutig vom Einsatz des MR-Linac profitieren, um den Stellenwert dieser neuen Technologie zu bestimmen“, so Professor Dr. Dr. Jürgen Debus in einer Pressemitteilung der Medizinischen Fakultät Heidelberg. Debus ist dort ärztlicher Direktor der Klinik für RadioOnkologie und Strahlentherapie und Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT). „Eine Behandlung mit dieser Technik wird deutlich teurer sein als eine Standardbehandlung.“ Damit schließt sich auch für Radioonkologen der Kreis von der Wissenschaft zur Wirtschaftlichkeit.