Heute schlage ich das letzte Kapitel einer Serie von Artikeln über meine Arbeit für die German Doctors auf. Meine Gedanken kreisen um ein ganz bestimmtes Thema: meine Ängste und Befürchtungen, aber auch meine Träume, Wünsche und Hoffnungen.
Ich beginne mit meinen Ängsten und Befürchtungen: Im August begann ich meine Reise. Der erste große Schritt war auf die Philippinen zu gehen, um da für German Doctors zu arbeiten. Viele, viele Jahre habe ich darüber nachgedacht für eine Nicht-Regierungs-Organisation (NRO) ehrenamtlich zu arbeiten und endlich war es soweit und ich es gewagt.
Ich war sehr ängstlich und nervös. Meine Gedanken drehten sich um viele Fragen: Bin ich in der Lage, diesen Job zu machen? Was werde ich erleben? Wie gehe ich mit den traurigen Dingen, die ich sehen werde um und wie kann ich sie verarbeiten? Was, wenn ich nicht gut genug bin? Was, wenn ich versage? Wie wird mich diese Erfahrung verändern?
Der Sprung ins kalte Wasser
Ich war verängstigt, weil ich nicht genau wusste, was auf mich erwarten würde. Aber ist es nicht immer so, dass man eine Entscheidung trifft und dann einfach ins kalte Wasser springt, ins Neue und Ungewisse?
Ja, es ist immer so. Wie oft habe ich schon erlebt, dass man irgendwann zurückschaut und sich sagt „war alles nicht so schlimm“. Oder man fragt sich, warum habe ich das nicht früher gemacht?! Und wenn man dann mittendrin ist, wächst man mit seinen Aufgaben, entwickelt sich weiter und bleibt nicht stehen, macht neue und aufregende Erfahrungen und hilft, bedeutende Veränderungen umzusetzen.
Trotzdem war ich wahnsinnig nervös und aufgeregt an meinem ersten Arbeitstag auf der Rolling Clinic. Wir kamen in einem kleine Dorf namens Malitbog, mitten in den Bergen, an. Das Team bereitete alles für die Behandlungen vor und ich lief ganz aufgeregt und ziellos durch die Gegend. Es fühlte sich an wie Lampenfieber und um ehrlich zu sein, das war es auch. Mein „Behandlungsstuhl“ stand immer draußen inmitten von atemberaubender Natur und ich war permanent umringt von Menschen, die mir auf die Finger schauten, neugierig waren, was da passiert, wie die neue Zahnärztin so sein wird. Und glaubt mir, diese Situation kostet einige Nerven. Das Gute jedoch ist, man gewöhnt sich schnell daran, ob es einem nun gefällt oder nicht.
Um die ersten Fragen von oben zu beantworten: Ja, ich war in der Lage meinen Job zu machen. Auch wenn die Bedingungen, unter denen man dort arbeitet nicht perfekt sind. Das was zählt, ist das die Hilfe ankommt!
Zähne in weit abgelegenen Dörfern zu ziehen und gerade mal die nötigsten Instrumente zur Verfügung zu haben, ist nicht unbedingt einfach. Manchmal war ich nicht in der Lage, jeden kleinen Wurzelrest zu entfernen. Aber das bedeutet nicht, das ich versagt habe. Nein, habe ich nicht. Denn ich habe es versucht und mein Bestes gegeben. Die Patienten wussten das zu schätzen.
Manchmal muss auch ein Zahnarzt zum Notfallkoffer greifen
Eines Tages erlebte ich einen beängstigenden Moment, während ich gerade eine Patientin behandelte. Eigentlich hatte ich geplant, drei Backenzähne am Stück in ihrem Unterkiefer zu ziehen. Nachdem ich zwei entfernt hatte, bemerkte ich, dass es mehr blutete als normalerweise. Ich entschied mich, den dritten Zahn nicht zu ziehen und ließ die Patientin auf einen Wattebausch beißen und bat sie in der Nähe zu bleiben, damit ich sie mir später noch einmal anschauen konnte.
Eine halbe Stunde später blutete es immer noch heftig. Ein erneuter Wechsel des Wattebausches und weitere 30 Minuten Abwarten änderten daran nichts. Also entschloss ich mich, die Wunde zu nähen. Und bitte vergesst nicht, dass mir mindestens 30 Leute in dieser Notfallsituation zuschauten.
Als ich den Wattebausch entfernte, konnte ich vor lauter Blut kaum die Ränder der Wunde erkennen und wusste so nicht genau, wo ich einstechen kann. Das kann einen schon nervös machen. Ich glaube, da werdet ihr mir zustimmen. Und wenn ein blutiger Tupfer nach dem anderen in einen Pappkarton geworfen wird, wissen auch die rundherum stehenden Leute, dass dies keine normale Situation ist, sondern ein Ernstfall.
Aber auch in einer Notfallsituation muss ein Zahnarzt seine Nerven behalten und versuchen, ruhig zu bleiben. Sogar nach drei Nähten blutete es weiter. Es wurde also Zeit den Notfallkoffer zu öffnen, um eine Ampulle Adrenalin herauszunehmen. Schrittweise tröpfelte ich das Adrenalin auf kleine Wattebällchen und platzierte diese auf der Wunde bis endlich die Blutung zum stehen kam. Und für alle Zahnärzte unter meinen Lesern: Ich musste die komplette Ampulle aufbrauchen.
Nicht-medizinische Herausforderungen
Nicht nur medizinische Situation können beängstigend sein und an meine Nerven gehen. Die Region in Mindano, in der wir mit der Rolling Clinic fuhren, ist nicht die Sicherste, denn sie ist von Konflikten geprägt (auch wenn die German Doctors nur in Gebieten arbeiten, in denen das Team nicht gefährdet ist).
Einmal wurden wir vom Militär gestoppt und gefragt, wo wir hin wollen. Und an einem anderen Tag schaute ich während meiner Behandlung auf und plötzlich stand ein Mann mit einem Maschinengewehr vor meinem Zahnarztstuhl. Eine sehr bizarre Situation. Während ich mich noch fragte, in welchem Film ich sei, ging er weg und das war auch schon alles.
Ein anderes Mal fuhren wir in eine Region, in der wir mit dem Pick-up-truck nicht weiterkamen und auf Motorräder umsteigen mussten. Diese Motorräder haben rechts und links an den Seiten angebaute Holzflügel, auf der das Team und die Ausrüstung transportiert wird. Grundsätzlich liebe ich es Motorrad zu fahren, aber das war selbst für mich eine ungewöhnliche Situation, zu dritt auf dem Motorrad voll bepackt mit all dem Equipment auf gefährlichen Pfaden unterwegs zu sein. Aber seht selbst:
Wenn ich hier über Ängste schreibe, bin ich mir im Klaren, dass gerade meine Berufssparte nicht die beliebteste im Bereich der Medizin ist. Vielen graut es vor dem Zahnarztbesuch. Wobei ich sagen muss: Die Philippinos sind echt tapfere Helden. Sie kamen zu mir, nahmen auf meinem Stuhl platz, bekamen eine örtliche Betäubung, ohne das Zahnfleisch vorher oberflächlich zu betäuben – wie es oft in modernen Ländern praktiziert wird – und nahmen es sehr gelassen. Selbst meine kleinsten Patienten, die mir immer sehr am Herz lagen, manchmal gerade 5 Jahre alt, waren unheimlich mutig und tapfer.
Für die Bewohner dieser abgelegenen Dörfer ist der Besuch beim Zahnarzt bei Weitem nicht das Schlimmste. Denn für sie ist es wichtiger – so vermute ich – zu wissen, wann und wo sie das nächste Essen herbekommen. Für uns ist es eine der einfachsten Sachen ist, in den Supermarkt zu gehen und Lebensmittel einzukaufen, für sie ist das alles andere als selbstverständlich.
Am Anfang meines Artikels stellte ich die Frage, wie ich mit all diesen Eindrücken umgehe? Das Erlebte hier aufzuschreiben, ist für mich ein Weg, es zu verarbeiten. Zu wissen, dass ich in eine andere Welt hinein geboren wurde, mit so vielen Privilegien und gleichzeitig zu wissen, dass diese Menschen in den Philippinen mit viel größeren und schwierigeren Situationen umzugehen haben, setzt meine Probleme in Relation. Denn ich weiss, dass die Menschen, denen ich auf den Philippinen begegnet bin, schlimmere Momente durchleben, denen ich wahrscheinlich nie ausgesetzt sein werde.
Sehr oft denke ich zurück an die Zeit in diesem wunderschönen Land und ihrem freundlichen Volk. Ich weiß, dass ich etwas verändert habe und das meine Ängste am Anfang normal waren. Ich habe sie überwunden und auf eine Art hat mich das stärker gemacht. So manche Dinge wurden für mich wieder ins richtige Licht gerückt.
Wir sollten ab und zu einen Blick auf das werfen, was wir haben, besitzen und auf die unzähligen Möglichkeiten, die sich uns bieten. Wir sollten lernen, all dies mehr zu schätzen und uns nicht permanent über Dinge zu beschweren, die am Ende noch nicht mal wirkliche Probleme sind.
Träume, Wünsche und Hoffnungen
Ich bin sehr froh, dass mir die Gelegenheit gegeben wurde, einer der German Doctors zu sein und ich wünsche mir, dass ich bald noch einmal bei dieser Organisation mitarbeiten kann - ein ganz grosses Dankeschön an all die lieben philippinischen Mitarbeiter des Teams die meine Arbeit erleichtert haben mit all ihrer Hilfe!Danke dafür, dass ich an Bord der Rolling Clinic sein durfte, um den Menschen auf Mindanao und Mindoro zu helfen.
Für die phantastischen Einwohner der Philippinen, insbesondere für die Kinder, hoffe ich, dass eines Tages große Veränderungen kommen mögen, die ihnen das Leben erleichtern werden und bis dahin ist sicher, dass die German Doctors für sie da sein werden. Ich kann Kollegen nur dazu ermutigen, auch einmal aktiv zu werden und vor Ort zu helfen.
Ich hoffe auch, dass mein Traum, die German Doctors mit meiner Spendenaktion zu unterstützen, nicht nur ein Traum bleibt, sondern ihr, meine Leser, mir weiterhin fleißig helft, diesen Traum in die Tat umzusetzen. Schaut einfach mal bei meiner aktuellen Spenden-Challenge vorbei!
Ein ganz grosses Danke möchte ich auch an die bisherigen Unterstützer meiner Spendenaktionen hier aussenden. Toll, dass ihr dabei seid!
Für all meine lieben Leser: Bleibt glücklich und gesund und bis ganz bald mit den nächsten Abenteuern der reisenden Zahnfee.
Alles Liebe Eure Tooth Fairy
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Bildquelle: Dr. Ify Odenigbo, Dr. Ina Riemer und Dr. Jürgen Kaiser