„Ich hatte ihn nicht mal selber am Telefon, nur die Praxisassistentin. Aber er hat ausrichten lassen, dass wir ihr geben könnten, was wir wollten oder soviel sie wolle – er, also der Arzt – habe keine Möglichkeit, da einzuschränken.“
Das gibt’s ja nicht.
Anlass des kurzen Gespräch zwischen meiner Apothekerkollegin und mir war ein Problem, das wir mit einer Patientin haben. Die Patientin ist bekannt abhängig. Sie hat auf Dauerrezept Benzodiazepine verordnet (Temesta ihrem Fall). Und wie es sich so bei manchen Daueranwendern zuträgt, hat sie dann irgendwann einmal angefangen, mehr zu nehmen. Bis wir ein erstes Mal eingegriffen und nachgefragt haben, ob eine Limitation möglich wäre. Der Arzt war damit einverstanden und so hat die Patientin, Frau Zzz „nur“ noch drei Packungen Temesta à 50 Stück pro Monat bekommen.
Über ein Jahr ging das mal besser, mal schlechter, dann fing sie an, erst uns und dann den Arzt zu drangsalsieren, weil ihr die drei Packungen nicht mehr reichten. Also hat sie sich „Extrapackungen“ aufschreiben lassen – das musste gemäß unserer Abmachung über den Arzt laufen, da wir in einem solchen Fall sonst keine Ausnahmen erlauben. Der Arzt schrieb die Packungen aber meistens auf. Ich bin sicher, er hat von der Patientin ziemlich Druck bekommen. Das Problem ist einfach, dass derartig häufige Ausnahmen (etwa 1 x im Monat) die Abmachung untergraben.
Das nächste Problem tauchte auf, als der selbe Arzt zusätzlich zu den Temesta auch noch Seresta (ebenfalls ein Benzodiazepin) aufschrieb. Auch das als Dauerrezept. Ohne Angabe der Dosierung, es hieß nur „bei Bedarf“.
Man kann sich vorstellen, dass die Patientin die zusätzlichen Medikamente auch prompt nutzte – ich sollte eher schreiben ausnutzte. Aber nach der zweiten Packung (50 Stück), die zusätzlich zu den 3×50 Temesta im ersten Monat hinzukam, haben wir dann wieder bei dem Arzt angerufen, um das abzuklären.
Es macht wenig Sinn zwei Benzodiazepine gleichzeitig zu verordnen. Tatsächlich war mir das nicht ganz geheuer aber eine Internet- und Literaturrecherche brachte auch nur das Ergebnis, dass das keine empfehlenswerte Praxis ist und die Gefahr der Nebenwirkungen erheblich erhöhe, ohne eine optimierte Wirkung zu zeigen.
Wir haben also in der Praxis angefragt, ob es nicht Sinn mache würden – wenn das Seresta denn tatsächlich nötig ist – da nicht auch eine Limitation einzuführen. Daraufhin kam die oben aufgeführte Antwort. Nicht einmal vom Arzt selber. Von der Praxisassistentin. Offenbar war es nicht wichtig genug, direkt mit der Apothekerin zu sprechen.
Das kann ich so nicht stehen lassen.
Was die Patientin da macht ist nicht nur Missbrauch: Sie gefährdet akut ihre Gesundheit und das Suchverhalten kann nur schlimmer werden. Damit will ich nichts zu tun haben und es hat nichts mit der Arbeit zu tun, die ich machen möchte. Es widerspricht meinem Verantwortungsgefühl gegenüber der Gesundheit meiner Patienten und meinem Berufsverständnis. Ich bin nicht nur einfach der Tablettendispenser.
Ärzte und Apotheker müssen zusammen arbeiten
Im Übrigen finde ich das Verhalten vom Arzt unverantwortlich. Wirklich. Ich vermute, er hat bei dieser Patientin etwas resigniert. Sie setzt ihn – wie uns ja auch – mit Forderungen ziemlich unter Druck: „Ich brauche mehr Packungen. Ich habe eine akute Krise. Mir geht’s gar nicht gut.“ Den Forderungen folgen Drohungen wie „Ich wechsel den Arzt. Und die Apotheke." Und überhaupt ruft sie andauernd an, denn in der Praxis selber war sie schon eine Zeitlang nicht mehr.
Also habe ich mich hingesetzt und einen Brief geschrieben. An den Arzt. Einerseits, weil ich mich schriftlich sowieso besser ausdrücken kann als am Telefon, andererseits, um die Situation zu dokumentieren. Wenn etwas passiert, will ich meine Position auf Papier festgehalten haben.
In dem Brief schrieb ich dem Arzt von meinen Bedenken bezüglich der Kombination von zwei Benzodiazepinen. Dass Frau Zzzz das als Anlass genommen habe, ihre Einnahme wieder unkontrolliert zu steigern. Dass die Verordnung „Nach Bedarf“ unsere Vorgaben, mit denen wir die Patientin doch schon einmal soweit kontrollieren konnten, dass sie regelmäßig Tabletten hat, aber die Dosis nicht ständig steigert, unterwandert. Und dass die Limitation schon einmal funktioniert hat und auch wieder funktionieren kann – aber eben nur, wenn wir zusammenarbeiten. Dass seine Antwort (via Praxisassistentin) am Telefon gegenüber meiner Apothekerin so nicht annehmbar ist. Und dass ich von ihm klare Vorgaben erwarte, wie er das mit den Benzodiazepinen handhaben will – und dass ich andernfalls die Patientin bei uns in der Apotheke ablehnen würde, weil ich eine Weiterbehandlung unter den bestehenden Voraussetzungen nicht verantworten könne.
Ja, nicht so nett, ich weiß. Aber ich war der Meinung, die Angelegenheit bedurfte deutlicher Worte. Nur einen Tag später habe ich in meinem Postfach in der Apotheke die Mitteilung, dass der Arzt angerufen habe und ausdrücklich mit mir reden wolle, er würde später nochmals anrufen.
Das hat er auch. Und er hat seinen Fehler eingesehen: „Ich muss mich entschuldigen für mein Verhalten. Das war wirklich nicht professionell.“
Langer Rede, kurzer Sinn – wir haben wieder eine feste Abmachung und feste Vorgaben, an die wir uns beide (Arzt und Apotheker) halten werden. Das wird Diskussionen mit der Patientin geben, aber solange wir beide am selben Strang ziehen, können wir uns durchsetzen.
Find ich toll! Ich bin nicht gerne die unangenehme Apothekerin und ich verstehe auch die Ärzte. Die haben’s mit solchen Patienten definitiv nicht leicht. Trotzdem möchte ich nicht, dass das Problem bei mir abgelanden wird.