Vier Fingerbreit (= 3 Cun) oberhalb des Malleolus internus liegt ein Akupunkturpunkt, der als ein besonders wichtiger Punkt für die Urogynäkologie gilt, SP-6, oder im Deutschen auch als Mi-6 bezeichnet. In ihm vereinen sich die drei Yin des Beines („Sanyinjiao“). Dies verleiht SP-6 letztlich seine große Kraft für die Behandlung urogenitaler Störungen und Krankheiten.
SP-6 liegt auf dem Milz-Meridian (Spleen) und wird überwiegend bei urogynäkologischen Erkrankungen, wie z. B. Infertilität, Enuresis, genitalen Schmerzen sowie sexueller Impotenz, gestochen (Akupunktur) oder wahlweise auch palpiert (Akupressur). Bei Frauen wird dieser Punkt am häufigsten verwendet, um beispielsweise Menstruationsschmerzen zu reduzieren oder die Gesamtfitness zu erhöhen. Doch Vorsicht! Während einer bestehenden Schwangerschaft darf SP-6 nicht manipuliert werden, da dies vorzeitige Wehen auslösen kann.
Wirkungsweise von Akupunktur in der Urologie
Die Wirkung von Akupunktur, z. B. bei Schmerzen, ist heute aufgrund der guten Studienlage allgemein anerkannt. Auch wenn sich ähnliche Ergebnisse bei urologischen Fragestellungen finden lassen, sind die einzelnen Wirkmechanismen, die am Ende zu einer Symptomlinderung führen, nicht vollständig verstanden. Einige grundlegende Arbeiten zeigten, dass sehr wahrscheinlich Neurotransmitter infolge der Reizung der Akupunkturpunkte verändert ausgeschüttet werden. Dies soll unter anderem blutdruckregulierend wirken, Schmerzen betäuben sowie den Blutfluss durch die Nieren steigern. In manchen Fällen lassen sich Akupunktur und Hormone ebenfalls in einen Zusammenhang bringen. Unter dem Einfluss der Nadeln wurde in einigen Studien eine Zunahme an Estradiol oder Testosteron beobachtet – eine mögliche Erklärung, weshalb Akupunktur bei Infertilität und Erektionsstörungen hilfreich sein kann?
Darüber hinaus scheint es durch Stimulation bestimmter Akupunkturpunkte im Tierversuch auch zu einer veränderten Interleukin-2-Ausschüttung und zu einer NK-T-Zell-Vermehrung zu kommen. Ob dies eine Rolle in der komplementären Anwendung der Akupunktur bei Chemotherapie spielen könnte, ist indes ungeklärt. Eine besondere Rolle kommt der Akupunktur zudem als alternative Therapieform bei Miktionsstörungen zu.
Traditionelle Auffassung der Wirkung am SP-6
SP-6 als Punkt auf der Milz-Leitbahn stärkt nach chinesischer Sichtweise zum einen die Milz. In der TCM gilt die Milz als Quell des Qi (Nahrungs-Qi), jener „Lebensenergie“, die als Grundlage für die Immunabwehr (Abwehr-Qi der Lunge) und die Blutbildung im Herzen dient. Im Punkt SP-6 verbinden sich zudem die Yin-Leitbahnen der Leber, der Milz und der Nieren. Die Leber ist ebenfalls mit dem Blut assoziiert, die Nieren sind neben der Ausscheidung auch für die sexuelle Funktion zuständig. Somit besteht aus chinesischer Sicht vereinfacht auch eine Verbindung zu Blutmangelstörungen, wie z. B. der fehlenden Erektion, oder zu Entzündungen, wie z. B. einer Prostatitis.
Der Fall: 35-jähriger Mann mit chronischer Prostatitis
Ein 35-jähriger Mann kam in die Praxis und berichtete über starke Schmerzen (Score 38/42 nach NIH/CPSI). Die Schmerzen zogen regelmäßig bis in die Innenseiten seiner Schenkel. Er klagte zusätzlich über Schmerzen beim Wasserlassen und Ejakulieren sowie Harndrang mit unvollständiger Entleerung. Eine Urinkultur war negativ. Bereits seit drei Jahren war er wiederholt wegen einer wiederkehrenden, nicht-bakteriellen Prostatitis in urologischer Behandlung.
TCM-Diagnose
Der Puls war voll und saitenförmig, in der linken Nierenposition schwach. Die Zunge imponierte durchgehend rot mit extrem roter Spitze (Herzzeichen). Der Zungenbelag war dünn, insbesondere im Nierenfeld. Der Patient erwachte bis zu dreimal nachts, um zu urinieren. Der Harnstrahl war schwach und tröpfelnd. Er war nervös und hatte Brustschmerzen. Zudem klagte der junge Mann über ein trockenes Gefühl im Mund. Alle Symptome verstärkten sich bei physischer Aktivität.
Fazit: Der Patient litt unter einer Yin-Schwäche der Nieren und der Leber, was zu einer Blasen-Hitze und zur Blutstase im unteren Erwärmer führte.
Die Behandlung
In erster Linie galt es bei ihm die Hitze zu beenden, die Blutstase aufzulösen und sowohl die Essenz der Nieren als auch das Leber-Yin zu stärken. Der Patient erhielt täglich eine Kräuterbehandlung und dazu wöchentlich eine Akupunktursitzung, mit den folgenden Mischungen und Akupunkturpunkten:
Bereits nach der ersten Flasche der Kräutermischungen und der Akupunktur waren die Symptome deutlich reduziert worden. Da die gerötete Zunge jedoch weiter persistierte, erhielt der junge Mann einen weiteren Behandlungszyklus. Danach fühlte er sich sehr viel besser (9/42 NIH/CPSI). Im Anschluss bekam der Patient nur noch eine unterstützende, anti-inflammatorische Therapie mit Grünem Tee. Nach vier Wochen erreichte er 4/42 NIH/CPSI und nach acht Wochen 2/42 NIH/CPSI. Nach einem Jahr lag er mit seinem Symptom-Score bei 0/42 NIH/CPSI und ist weiterhin symptomfrei.
Quellen:
Kashefi F et al., J Altern Complement Med 2011; 17(12):1141-7Wong CL et al., Ther Clin Pract 2010; 16(2):64-9Ripoll E & Bunn T, World Journal of Urology 2002; 20(5):315-8Yao T, Scand J Rehabil Med Suppl 1993; 29:7-18Gong D et al., Zhen Ci Yan Jiu 1993; 18:253-256Ma Z et al., Zhen Ci Yan Jiu 1992; 17:139-142Ohlsen BA, Journal of Chiropractic Medicine (2013); 12:182–190
(Erstveröffentlichung in DER PRIVATARZT Urologie 2/2016)