Zur Bekämpfung des weltweiten Übergewichts fordert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Sondersteuern auf zuckrige Getränke. Werden Limonaden jetzt auch in Deutschland teurer? Und wie bewerten Ärzte diese Forderung?
Die Welt hat ein gewichtiges Problem. Ihre wichtigste Gesundheitsorganisation – die WHO – schätzt, dass mehr ein Drittel aller Erwachsenen übergewichtig sind, doppelt so viele wie noch 1980. Mehr als eine halbe Milliarde Menschen gelten als fettleibig. Bei Kindern sieht es nicht viel besser aus: Rund 42 Millionen der unter fünf Jährigen sollen übergewichtig oder adipös sein. Gründe dafür gibt es viele. Einer heißt C¹²H²²O¹¹: Zucker, der Stoff der schon den Kleinsten ein Lächeln auf die Lippen zaubert. Es gibt kaum eine Speise, in der er nicht steckt. Süße Getränke sind Gesundheitsexperten ein besonderer Dorn im Auge. Denn wer ständig seinen Durst mit gezuckerter Limonade löscht, wird leicht dick, selbst wenn er gar nicht so viel isst. Mit den Pfunden jedoch droht noch eine weitere Gefahr.
Menschen, die regelmäßig ein bis zwei Gläser mit Limonade am Tag trinken, habe ein etwa 26 Prozent größeres Risiko, Typ II Diabetes zu entwickeln, als solche, die das nicht tun. Schon jetzt leiden 422 Millionen Erwachsene an der Stoffwechselkrankheit. Für die Gesundheitsexperten der Weltgesundheitsorganisation Grund genug, eine Zuckersteuer zu fordern. Durch die Einführung solcher Abgaben könnten Regierungen „Leiden vermindern und Leben retten“ sagte Douglas Bettcher, Direktor der Abteilung nicht übertragbare Krankheiten. Forscher um Gitanjali M. Singh von der Harvard School of Public Health führen fast 180.000 Todesfälle im Jahr 2010 auf den Konsum zuckerhaltiger Getränke zurück. Nach ihren Berechnungen sind darunter 133.000 Diabetestote, 44.000 Todesfälle durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und 6000 Krebstote. Es gebe mittlerweile genug Evidenz, um den Ländern die Steuern zu empfehlen, heißt es aus der WHO.
Als Mexiko 2014 Getränke mit zugesetztem Zucker mit Preissteigerungen von zehn Prozent versah, bracht der Konsum erst um sechs, am Ende des Jahres sogar um 12 Prozent ein. Einige Experten gehen davon aus, dass eine Preissteigerung von 20 Prozent dazu führen würde, dass die Menschen im Gegenzug 20 Prozent weniger Limonade trinken. Viele skandinavische Länder setzen schon seit einigen Jahren auf Zuckersteuern. Auch Frankreich, Belgien und Ungarn erheben zusätzliche Abgaben auf besonders zuckerhaltige Getränke. Die Philippinen, Südafrika oder Nordirland haben zumindest ihre Absicht bekundet, gezuckerte Getränke extra zu besteuern.
Und auch Großbritannien glaubt an die Wirkung der Abgaben. Im Frühjahr hatte die Regierung eine Steuer für Unternehmen angekündigt, die zuckerhaltige Softdrinks herstellen oder importieren. Geplant sind zwei Varianten: Eine für Getränke ab fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter, eine für mehr als acht Gramm. Zwei Jahre sollen die Unternehmen nun Zeit haben, den Zuckergehalt ihrer Produkte zu senken, danach müssen sie zahlen. Die Steuermehreinnahmen werden anschließend investiert: in Bewegungsförderung für Grundschulkinder. Verbraucher sollen durch die Steuer nicht belastet, weil es sich um eine reine Unternehmensteuer handelt. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass einige Unternehmen im Gegenzug die Preise für ihre Limonaden anheben. Deutschland ist mit 80 Litern pro Jahr eines der Länder mit dem höchsten Pro-Kopf-Verbrauch an Getränken, die mit Zucker gesüßt sind. In einer Foodwatch-Studie enthielten 274 von 463 Getränken zu viel Zucker. Als „zu viel“ definierten die Verbraucherschützer einen Zucker-Anteil von fünf Prozent, das sind etwa vier Stück Würfelzucker in einem 250-Milliliter-Glas.
Eine Zuckersteuer ist hierzulande trotzdem nicht in Sicht. Gitta Connemann, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hatte die Forderungen nach Einführung einer Zuckersteuer erst kürzlich zurückgewiesen und erklärt: die Verbraucher „mit Verboten à la Veggieday oder Zuckersteuer zu lenken, lehnen wir strikt ab“. Viele Ärzte und Ernährungsexperten sehen das anders. Sie kritisieren, dass die Menschen heute in einer dickmachenden Umwelt leben, in der gesunde Entscheidungen besonders schwer gemacht werden. Gesundheitsförderung von heute sollte dieses Prinzip jedoch umdrehen: Die gesündere Wahl muss die leichtere Wahl werden und das funktioniert eben auch über das Geld. Der Vorschlag der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) sieht vor, stark zuckerhaltige Getränke mit dem vollen Mehrwertsteuersatz von 19 Prozent zu besteuern, gesunde Lebensmittel hingegen durch Wegfall der Mehrwertsteuer zu entlasten. „Damit würde man eine Preisspreizung erreichen, die gesünderes Konsumverhalten belohnt und ein Umdenken bei den Herstellern anstößt“, meint Dietrich Garlichs, Geschäftsführer der DDG.
Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) fordert zusätzlich zur Steuer, die Lebensmittelampel, weniger Zuckerbeimengung, Werbeverbot und Aufklärung. Die WHO geht noch einen Schritt weiter. In ihrem Hauptquartier in Genf werden gibt es überhaupt keine zuckerhaltigen Getränke mehr. Nur Wasser, Tea, Kaffee und Milch werden noch angeboten. Wer Limonade oder Saft trinken will, muss sie sich selbst mitbringen. Neuseeland dagegen hat gezuckerte Getränke aus allen Krankenhäusern geholt hat. Von den Patienten wurde dieser Schritt gut angenommen, die Folgen für die Gesundheit sind jedoch noch unbekannt. Eine der größten Herausforderungen wird jetzt sein, die Auswirkungen solcher Programme zu untersuchen, hieß es daher kürzlich in einem Editorial der Fachzeitung Lancet. Der Kampf gegen den Zucker sei wichtig, aber nur ein Teil von einem viel größeren Kampf gegen nichtübertragbare Krankheiten wie Übergewicht und Diabetes.