Wie löst ein elektrisches Signal die Kontraktion atrialer Herzmuskelzellen aus? Antworten auf diese Frage könnten nun molekulare Einblicke in neuartige Signalprozesse ermöglichen. Folgeerkrankungen wie Vorhofflimmern könnten damit frühzeitig verhindert werden.
Rund zwei Drittel aller Herzrhythmusstörungen insbesondere bei älteren Menschen haben ihren Ursprung im Herzvorhof. Hier sind die atrialen Herzmuskelzellen des Vorhofs entscheidend für die Füllung der Herzkammern. Diese Herzmuskelzellen werden kaum gezielt mit modernen zellbiologischen Methoden untersucht. Forschern der Klinik für Kardiologie und Pneumologie der Universitätsmedizin Göttingen (UMG), ist es nun erstmals gelungen, die molekularen Zellstrukturen von atrialen Kardiomyozyten sichtbar zu machen.
Nach neuen Erkenntnissen werden atriale Herzmuskelzellen von spezialisierten und elektrisch erregbaren Membranschläuchen, dem Tubulus-Netzwerk, durchzogen. Das schlauchartige Membransystem durchzieht die atrialen Zellen auf ungewöhnliche Weise. Bislang war unklar, wie elektrische Signale die Kontraktion der atrialen Herzmuskelzelle auslösen und wie die Kontraktion abläuft. „Wir konnten nun zeigen, wie das elektrische Aktionspotential durch die Tubulus-Strukturen bis tief in die Zelle hineingelangt und wo die Zelle im Inneren genau durch die Freisetzung von Ca²+-Ionen stimuliert wird. Ein besseres Verständnis dieser subzellulären Signalmechanismen ermöglicht auch detaillierte Vorhersagen bei Krankheiten, wenn die Signalprozesse gestört sind. Dies ist z.B. bei Herzrhythmusstörungen der Fall“, sagt Sören Brandenburg, Erstautor der Studie. Die Forscher untersuchten zunächst genetisch veränderte Mäuse. Die molekularen Ergebnisse bestätigten sich auch in menschlichen Herzmuskelzellen.
Untersucht wurde mithilfe modernster Mikroskopie-Verfahren, wie Stimulated Emission Depletion (STED) und Elektronentomographie. Die Forscher konnten sichtbar machen, wo diese „axialen“ Membrantubuli mit besonders vielen Calcium-Freisetzungskanälen, den Ryanodin-Rezeptoren, assoziiert sind, die das Calcium-Signal und damit direkt die Kontraktion der Zelle maßgeblich beeinflussen. Ein gemeinsam mit amerikanischen Wissenschaftlern der University of Maryland in Baltimore entwickeltes Computermodell simuliert erstmals die Calcium-Signale atrialer Zellen. So lässt sich analysieren, wie im Zellinneren ein besonders schnelles lokales Calcium-Signalverhalten durch axiale Tubulus-Strukturen vermittelt werden kann. Das soll in Zukunft helfen, neue Therapieansätze zu entwickeln. Das Forscherteam konnte im Mausmodell zeigen, welche Auswirkungen eine pathologische Zunahme der Herzmuskeldicke induziert durch Aortenstenose auf atriale Herzmuskelzellen hat.
„Die atrialen Zellen wurden dabei nicht nur deutlich größer, auch die Zahl der axialen Tubulus-Strukturen nahm deutlich zu. Wir haben jetzt die Möglichkeit, diese Signal-Prozesse vorherzusagen und zu überlegen, welche Substanzen oder Therapieverfahren helfen könnten, nachteilige atriale Remodeling-Prozesse zu verhindern“, sagt Lehnart. Die Idee dahinter: Werden entscheidende krankheitsauslösende Veränderungen in atrialen Zellen frühzeitig gehemmt, können Folgeerkrankungen wie Vorhofflimmern und Schlaganfälle möglicherweise verhindert werden. Originalpublikation: Axial tubule junctions control rapid calcium signaling in atria Sören Brandenburg et al.; The Journal of Clinical Investigation, doi: 10.1172/JCI88241; 2016