Ist es sinnvoll, als Mobbing-Opfer den Arbeitgeber zu verklagen? Meist ist es aussichtslos und aus gesundheitlichen Gründen nicht ratsam. Aber es mag Ausnahmen geben.
Es war eine dieser Mobbing-Geschichten, bei denen ich als Behandler schon ahnte, wie sie ausgehen würden. Meine Patientin, Ende 50, war auf eine zunächst diffizile, dann immer plumpere Art an ihrem Arbeitsplatz benachteiligt und behindert worden.
Der Haupt-Mobber war ihr Chef, aber einige ihrer Kollegen hielten sich als Nutznießer der Aktion sehr bedeckt und ermöglichten dadurch erst die Schikanen. Als die Bestätigung der Arbeitsunfähigkeit durch mich erfolgte, war meine Patientin am Ende ihrer Kräfte. Sie hatte lange gekämpft, um ihre Arbeit, die sie gerne machte, dann um ihren Ruf, schließlich um ihren Arbeitsplatz. Es half alles nichts. Depressiv und erschöpft schied sie aus dem Arbeitsverhältnis aus.
Viele Mobbing-Opfer haben nicht die Kraft, zu klagen
Die Ungerechtigkeit machte ihr am Ende noch am meisten zu schaffen. Sie fragte mich, ob es chancenreich sei, den Arbeitgeber zu verklagen. Wir diskutierten lange das Für und Wider. Den Ausschlag gab dann ihr reduzierter Gesundheitszustand. Sie traute es sich nicht zu und ich konnte sie gut verstehen. In den allermeisten Fällen hat das Opfer nicht die Kraft und nicht die Belastbarkeit für eine oft langwierige, immer aber unangenehme und belastende gerichtliche Auseinandersetzung mit ohnehin zweifelhaften Aussichten.
Ich machte mir Sorgen um meine Patientin, verlor sie aber nach ihrem Ausscheiden aus ihrem Beruf aus den Augen, weil sie nicht aus der Münchner Gegend kommt. Einige Male dachte ich an sie. Wie es mit ihr wohl weitergegangen war?
Vor ein paar Tagen erfuhr ich es. Sie stand auf meiner Liste für die Sprechstunde. Ehrlich gesagt erwartete ich, dass es ihr nicht gut ginge. Aber das Gegenteil war der Fall. In den fünf Jahren, in denen ich sie nicht gesehen hatte, war es mit ihr bergauf gegangen. Sie sah erholt aus, wirkte jünger und frischer als damals. Die Erschöpfung war weg, sie hatte sich erholt. Jetzt achtete sie mehr auf sich als in der „schlimmen Zeit“, wie sie es formulierte. Eine Therapie hatte sie nicht gemacht, aber sie hatte verstanden, worauf es ankam. Achtsamkeit. Erkennen der eigenen Grenzen. Fernhalten von Negativem, Zugehen auf das Positive.
„Ich will es nicht so stehen lassen“
Das Mobbing von damals war nicht vergessen. Es beherrschte ihr Denken und Fühlen nicht mehr so wie vor fünf Jahren. Sie hatte keine Schlafstörungen mehr deswegen. Aber immer wieder ging ihr durch den Kopf, was vorgefallen war, wie man sie behandelt hatte und wie wenig sie dagegen tun konnte.
Sie stellte mir die gleiche Frage wie vor fünf Jahren. Aber diesmal lächelte sie dazu und ihr Blick war nicht auf den Boden gerichtet. Bevor ich antworten konnte, sagte sie noch, es ginge nicht um Rache. Sie sei sich bewusst, dass die Aussichten einer Klage sehr beschränkt seien. Sie würde so oder so weitermachen wie in den letzten Jahren. Sie mache nichts vom Ausgang einer rechtlichen Auseinandersetzung abhängig.
Warum sie die Sache dann noch einmal aufrollen wolle, fragte ich. „Weil ich es nicht so stehen lassen will“, antwortete sie, „und weil ich jetzt stark genug bin.“ Im Grunde genommen war es gar keine richtige Frage. Sie wollte mich an ihrer Entscheidung teilhaben lassen.
Man trifft sich immer zweimal im Leben
Es ist eine Ausnahme, dass ein Mobbing-Opfer sich so weit erholt, dass es fünf Jahre später noch einmal gegen die frühere Benachteiligung und Ausgrenzung vorgeht. Für die meisten, die ich kenne, macht es mehr Sinn, sich fern zu halten von diesem Thema, das schmerzhafte Spuren in ihrer Seele hinterlassen hat. Einige können davon profitieren, eine Therapie bei einem Trauma-Therapeuten zu absolvieren. Sofern sie einen finden, der „Mobbing“ als Trauma-Ursache gelten lässt.
Aber hin und wieder, auch wenn es selten ist, werde ich Zeuge davon, wie sich das alte Sprichwort bewahrheitet: „Man trifft sich immer zweimal im Leben.“
Ich bin sehr gespannt, wie die Sache ausgeht. Manchmal klappt „peace out haterz“ einfach nicht.
Bildquelle (Außenseite): Artondra Hall, flickr