Das Thema Nahtoderfahrung (NTE) ist inzwischen allgemein sehr präsent, auch bei DocCheck ist es mit zwei Artikeln mit wissenschaftlichem Schwerpunkt vertreten. Doch übersehen wir da nicht was wichtiges? Was fängt die Pflegekraft oder der Arzt vor Ort denn mit einem Menschen an, der solch ein Erlebnis schildert?
Kurze Schlüsse
Noch viel zu oft wird dieses Gespräch sicher mit „Ihr Gehirn war kurz ohne Sauerstoff“, „Das waren nur Halluzinationen“ oder vielleicht „Ich geb Ihnen noch was zur Beruhigung“ kurz und schmerzlos beendet. Doch gerade nach solch einer Erfahrung sind die Betroffenen vielfach sehr schutzlos bis hin zu traumatisiert und verschließen sich nach einem fehlgelaufenen Erstkontakt dann für lange Zeit. Die notwendige Verarbeitung des Erlebten wird so verzögert und der Weg zurück in den Alltag erschwert.
Den Erfordernissen gerecht werden
Solch eine Erfahrung erschüttert den betroffenen Menschen zutiefst; der Begriff „Trauma“ wird von manchen Betroffenen bewußt benutzt. Die Intensität, Klarheit und Inhalte des Erlebten sprengen die Vorstellungskraft der Erfahrenden und führen oft in den Jahren danach zu umfassenden Änderungen in der Lebensgestaltung.
Dies sollte vor allem das Gegenüber anerkennen, um der Situation gerecht zu werden. Eine Erörterung der möglichen Ursachen hat dabei keinen Platz und auch hier in diesem Artikel nicht. Für den fachgerechten Umgang mit dem Ereignis spielt dies nämlich erfreulicherweise keine Rolle und wird somit, auch um unnötige Kontroversen zu vermeiden, einfach weggelassen. Wer sich als Fachkraft auf den Umgang mit solch einem Erlebnis nicht einlassen kann, sollte sich zumindest ehrlich aus der Situation zurückziehen. Ein „Ich bin nicht offen dafür“ oder „Ich bin gerade zu erschöpft“ ist hier allemal besser als eine destruktive Floskel.
Notwendige Differenzialdiagnose
Unvermeidlich ist natürlich, die Schilderung auf psychopathologische Anzeichen abzuklären und auch eine Suizidgefährdung auszuschließen. NTEs zeichnen sich durch große Klarheit, Detailgenauigkeit auch nach Jahren und starke Emotionen aus; auch Verlust der Angst vor dem Tod, Sinnhaftigkeit und keinen negativen Tendenzen gegen andere Menschen helfen bei der Einordnung. Elemente wie außerkörperliche Erlebnisse, Licht, eine paradiesische Welt und die Begegnung mit freundlichen Wesenheiten werden häufig beschrieben; ab und an aber auch negative Elemente wie absolute Verlassenheit, fehlende Sinneswahrnehmungen, Dunkelheit. Die erlebte Welt wird als unglaublich schön, friedlich und schmerzfrei erlebt, so dass etliche Betroffene wieder dorthin zurückwollen und in wenigen Fällen tatsächlich Suizidversuche unternehmen. Eine heftige Schimpftirade statt eines Danks nach erfolgreicher Lebensrettung kann die Helfer schon mal erwarten.
Herausragend
Wer solch eine Schilderung zu hören bekommt kann sich glücklich schätzen. Sie betrifft ein sehr persönliches Erlebnis und die, eben nicht unbegründete Angst, als verrückt abgestempelt zu werden wird oft dazu führen, dass der/die Betroffene schweigt.
Richtig Behandeln
Von Anfang an, wie auch bei einer ggf. folgenden Psychotherapie, steht die Rückkehr ins normale Leben ebenso wie die Verbundenheit mit der Erfahrung im Mittelpunkt und sollte unterstützt werden. Die Rückkehr wird durch die Verantwortung für nahestehende Menschen (Kinder, Partner, etc.) und dem Betroffenen wichtigen Lebensaufgaben erleichtert ebenso wie durch die Erdung mit Sport und körperliche Arbeit. Die Annahme der Erfahrung sowie die Verbindung mit dem Alltag kann durch die Akzeptanz von außen (persönliches Umfeld sowie durch Kontakt mit anderen Erfahrenen) als auch durch Rückzugsmöglichkeiten und hilfreiche Reize (z.B. Naturaufenthalte) erleichtert werden. Meditations- und andere Entspannungstechniken können bei Bedarf genutzt werden. Auch ist oft eine gesteigerte Empathie zu verzeichnen, die das Erlernen von Abgrenzung erforderlich macht.
Wichtige Werkzeuge
Auch muß unbedingt miteinbezogen werden, dass häufig die Sprache für den Betroffenen nicht ausreicht, um das Erlebte auszudrücken. Musik-, Kunst-, Leibestherapie und ähnliche Ansätze können hier weiterhelfen und sollten angeboten werden.
Zudem wäre abzuklären, was sich an Skills erarbeiten läßt; grade zu Beginn der Behandlung mit einem Übermaß an Herausforderungen für den Patienten. Im weiteren Therapieverlauf steht die Bearbeitung der förderlichen und der hemmenden Elemente der Erfahrung im Vordergrund und die Begleitung der wahrscheinlich anstehenden großen Änderungen in der Lebensplanung, was die zukünftige Berufswahl, den Freundeskreis und auch die Fortsetzung einer Partnerschaft betreffen können.
Perspektive
Nicht immer wird ein Erfahrener fachliche Unterstützung benötigen und dann vielleicht auch nur einige Monate – das Erlebnis wird dennoch sein/ihr Leben dauerhaft prägen. Es bietet jedoch ein großes Potential für die persönliche Entwicklung und etliche Erfahrene bringen sich später verstärkt in soziale Aufgaben ein.
Mehr auch unter http://www.netzwerk-nahtoderfahrung.org/