Nach Ansicht des KKH-Vorsitzenden Ingo Kailuweit ist jeder zweite Arztbesuch in Deutschland überflüssig. Ein kurzer Kommentar aus Sicht eines niedergelassenen Facharztes.
Glaubt man dem Vorsitzenden der Kaufmännischen Krankenkasse KKH, Ingo Kailuweit, so müsste ich ein ganz schlechtes Gewissen haben. Nach seiner Auffassung sind nämlich die Hälfte aller Arztbesuche in Deutschland überflüssig. Als Vertragsarzt hätte mir das auffallen müssen.
Damit verbindet sich ja der unausgesprochene Vorwurf, wir Ärzte würden überflüssige Besuche unserer Patienten dulden, ja gutheißen, weil wir dadurch mehr verdienen würden.
Kenner des deutschen Kassensystems liegen spätestens jetzt mit Lachkrämpfen am Boden.
Honorar pro Quartal, nicht pro Besuch
Vertragsärzte der Krankenkassen bekommen nämlich für jeden Patienten ein Honorar pro Quartal. Egal, wie oft dieser Patient die Praxis aufsucht. Aus betriebswirtschaftlichen Gründen wäre dem deutschen Kassenarzt derjenige Patient der liebste, der so etwa zwei bis maximal drei Mal im Quartal in die Sprechstunde kommt. Jeder weitere Termin wird nicht bezahlt, den macht der Arzt aus Menschenfreundlichkeit, beruflichem Ethos oder weil ihm nichts anderes übrig bleibt. Schließlich sind seine Patienten krank.
Der Vorwurf, viele sinnlose Termine würden den Arzt bereichern oder den Krankenkassen Kosten verursachen, ist also schon aus Gründen der Abrechnungsrealität barer Unsinn.
Sind die Vorwürfe denn inhaltlich gerechtfertigt?
Wie so oft kann ich nur aus meiner ganz persönlichen Erfahrung berichten. Ich bin jetzt seit etwas mehr als zwanzig Jahren als Facharzt niedergelassen. Wenn ich mir vorstelle, dass ich demnach zehn Jahre überflüssige Termine angeboten haben soll, die von Menschen wahrgenommen wurden, denen in Wirklichkeit nichts fehlte, so komme ich doch etwas ins Grübeln. Wenn ich so zurückschaue, würde ich „überflüssige“ Termine etwa im niedrigen Promillebereich ansiedeln. Mal kommt einer und will eine Krankschreibung, obwohl er gesund ist, mal ein Attest, das ich nicht nachvollziehen kann. Klar, gibt es so etwas. Aber sehr, sehr, sehr selten.
Wie kommt ein Vorsitzender einer Krankenkasse also dazu, so etwas zu behaupten? Wahrscheinlich ist es der selbe Virus, der auch unseren Innenminister de Maizière befallen hat, als er davon sprach, dass 70 % aller männlichen Flüchtlinge aufgrund fragwürdiger Atteste für nicht abschiebwürdig erklärt würden. Eine Angabe, die sich bei genauer Überprüfung als nicht haltbar erwies.
Von Hypochondern und verrückten Ärzten
Auch Ingo Kailuweit hat wohl diesen Virus abbekommen und mal eben so geschätzt. Dass er damit Tausenden von Patienten und auch Ärzten unterstellt, sie wären einerseits Hypochonder (die Patienten) und andererseits nicht ganz dicht (die Ärzte), scheint ihn nicht sonderlich zu beunruhigen. Wie auch? Schließlich hat er keinerlei Konsequenzen zu fürchten. Und der feuchte Traum jedes Kassenfunktionärs ist eine Welt ohne Kranke und ohne Ärzte. Dann fließt jeder Cent der Beitragszahler in die Verwaltung der Kassen.
Horst Seehofer hat sich mit seinem Zitat vom „Ärztepack“ unsterblich gemacht. Vom „Patientenpack“ spricht derzeit noch niemand, aber vielleicht murmelt der eine oder andere Kassenfunktionär diesen Begriff schon im Schlaf.
Peter Teuschel
(G.F. Watts: Mammon. 1885)
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