Die Chinesischen Akademie für traditionelle chinesische Medizin führte in 15 Kliniken des Landes eine Studie durch: Bei 1.075 Patienten, die die Rom III-Kriterien der chronischen Obstipation erfüllten, wurde Akupunktur der Punkte Tianshu (ST25) und Fujie (SP14) am Abdomen und Shangjuxu (ST37) am Unterschenkel angewendet.
Nur bei der Hälfte der Patienten wurden die Akupunkturnadeln allerdings an den eingangs genannten Stellen gesetzt, in der Kontrollgruppe wurden Punkte etwas daneben ausgewählt. Ein weiterer Unterschied: Nur die echte Akupunktur wurde durch elektrische Impulse unterstützt. Bei der Scheinakupunktur wurde das Gerät gar nicht eingeschaltet. 28 Sitzungen von jeweils 30 Minuten Dauer wurden angegeben.
14 Stunden Akupunktur-Therapie
Somit wurde jeder einzelne der 1.075 Patientinnen und Patienten insgesamt über 14 Stunden (!) akupunktur-therapeutisch bzw. mit Placebo-Akupunktur begleitet. 28 Arztkontakte à 30 Minuten nur wegen habitueller Obstipation innerhalb von 8 Wochen zu bewerkstelligen, bedeutet bei unseren GKV-Patienten mit gedeckelter Gesamtvergütung ein unbezahltes Nullsummenspiel.
Wenn dann noch bei der Kontrollgruppe: a) die Akupunkturpunkte falsch gewählt, b) gar keine Elektro-Anwendung stattfand, müsste es doch mit dem Teufel zugegangen sein, wenn die Verum-Gruppe nicht eine häufiger erfolgreiche Darmentleerung zu Stande gebracht hätte, als die Vergleichsgruppe der offensichtlich falsch und gar nicht Behandelten.
Da könnte man ebenso in Darmstadt kostenlos Klistiere verteilen, um diese Stadt zur obstipationsfreien Zone zu erklären, während die restliche Bevölkerung immer noch auf dem Klo sitzt.
(Bildquelle: Cabot Health, Bristol Stool Chart, Wikipedia)
Zu allem Überfluss wird in der Publikation: „Acupuncture for Chronic Severe Functional Constipation: A Randomized, Controlled Trial“ von Zhishun Liu et al. ebenso treuherzig wie einschränkend erklärt, dass man Akupunkteure nicht verblinden könnte [„Limitations: Longer-term follow-up was not assessed. Acupuncturists could not be blinded“]. Und das ist auch gut so!
Und wozu die Studie dann?
Zu Recht werde ich gefragt, was ist bei dieser Studie eigentlich herausgekommen? Normalerweise werden die Studienergebnisse in den Schlussfolgerungen prägnant zusammengefasst. In der vorliegenden Studie war das gar nicht der Fall: „Conclusion: Eight weeks of EA increases CSBMs [complete spontaneous bowel movements] and is safe for the treatment of CSFC [chronic severe functional constipation]. Additional study is warranted to evaluate a longer-term treatment and follow-up.“
Da muss man schon genauer bei den Ergebnissen nachschauen. Doch die sind alles andere als begeisternd: 3 oder mehr komplette spontane Stuhlentleerungen hatten 31,3 % im Behandlungsarm bzw. 37,7 % im Langzeit-Follow-up mit EA („electroacupuncture“). Dies erreichten im Kontrollarm mit Scheinakupunktur („sham-acupuncture“ SA) ohne Elektrostimulation nur 12,1 % bzw. 14,1 %.
Unerwähnt bleiben in der Publikation die 68,7 % bzw. 62,3 % Patienten bei denen selbst die intensive und zeitaufwändige Verum-Behandlung nicht geholfen hatte.
Results: [...] The proportion of patients having 3 or more mean weekly CSBMs in the EA group was 31.3 % and 37.7 % over the treatment and follow-up periods, respectively, compared with 12.1 % and 14.1 % in the SA group (P < 0.001). Acupuncture-related adverse events during treatment were infrequent in both groups, and all were mild or transient. )
Von einer "randomisierten, kontrollierten Untersuchungsanordnung" wie im Titel proklamiert, kann also nicht mal ansatzweise plausibel die Rede sein. Selbst bei günstigster Studien-Interpretation konnte zwei Dritteln mit aufwändiger Elektro-Akupunktur n i c h t geholfen oder die chronische, schwere, funktionelle Konstipation gebessert werden.
Originalpublikation: Acupuncture for Chronic Severe Functional Constipation: A Randomized, Controlled Trial Zhishun Liu et al.; Annals of Internal Medicine, doi: 10.7326/M15-3118; 2016