„Fluorid in der Schwangerschaft macht Kinder dümmer“ – Schlagzeilen wie diese gehen seit der Veröffentlichung einer mexikanischen Studie durch die Presse. Der Markt für fluoridfreie Produkte wächst, die Anti-Fluorid-Bewegung findet immer mehr Anhänger. Zu Recht?
Fluorid ist allgegenwärtig. Wir nehmen es beim Zähneputzen oder über fluoriertes Speisesalz auf. Mittags braten wir das Steak in der fluoridhaltigen Teflonpfanne. In der Werbung und auf „alternativen“ Verbraucherforen wird davor gewarnt. Ein schönes Beispiel für populistische und unseriöse Darstellung der Gefahren vor Fluorid ist die Homepage der ärztlich begleiteten Homepage „Wasserklinik“: „Eine unbedenkliche Dosis Fluoride gibt es nicht. Bereits eine vermeintlich geringe, aber stete Aufnahme von Fluorid über fluoridierte Zahnpasta, Fluor-Tabletten oder auch in Speisesalz und Fluorid im Trinkwasser beschleunigt die Alterung und fördert den gesundheitlichen Verfall mit vielfältigen – meist unheilbaren – Erkrankungen“. Um den Verkauf eigener Wasserfilter zu fördern, wird der Anbieter noch drastischer: „Fluorid bzw. Fluoride gehören zu den giftigsten Substanzen auf der Erde, sind aggressiv und können sich sogar durch Stahl, Glas und Aluminium fressen.“
Hier werden aus dem Zusammenhang gerissene „Fakten“ fehlerhaft dargestellt. Bei der Beurteilung der Toxizität spielt es eine Rolle, ob es sich um organische oder anorganische Verbindungen handelt, ob Fluoridionen dissoziieren und ob das Salz löslich ist. Fluorwasserstoffsäure (Flusssäure) kann sich in der Tat durch Glas und Metall fressen, dies ist aber nicht mit Fluoridsalzen in Zahncremes vergleichbar. Es wäre so, als würde man behaupten, Zucker ist extrem explosiv, weil er 22 Wasserstoffatome enthält. Ganz zu schweigen von aggressivem Chlor im Kochsalz.
Die Laienpresse interpretiert Studien gerne falsch, nach dem Motto „Bad news are good news“. Die Zeitschrift „Brigitte Mom – das Magazin mit starken Nerven“ titelte unlängst „Fluorid in Schwangerschaft macht Kinder dümmer“. Die Studie wurde mit Müttern und ihren Kindern in Mexiko-Stadt durchgeführt. Während der Schwangerschaft wurde von den Frauen Urin gesammelt, tiefgefroren und der Fluoridgehalt bestimmt. Bei den Kindern im Alter von vier Jahren und im Zeitraum von sechs bis zwölf Jahren ermittelten Forscher den Intelligenzquotient. Knapp 300 Mutter-Kind-Paare schloss die Untersuchung ein. Das Ergebnis war eindeutig: Je höher die Fluoridkonzentration, desto geringer die kognitive Leistungsfähigkeit des Kindes. Mit einer um jeweils 0,5 mg/l höheren Fluoridkonzentration war ein um 2,5 Punkte geringerer IQ assoziiert. Die Presse schlachtete dies populistisch aus und stellte einerseits einen kausalen Zusammenhang zwischen der Fluoridaufnahme und der kindlichen Intelligenz her, andererseits verknüpfte sie es direkt mit fluoridhaltigen Zahncremes. Die Kurzformel lautete „Fluoridzahncreme macht Kinder dumm“. Die Studie wies allerdings mehrere methodische Mängel auf. Von den Probanden wurde kein Sammelurin verwendet, sondern nur ein Spot-Urin, was die Aussagekraft erheblich verfälscht. Bei den Schwangeren erhob man nicht, aus welchen Quellen sie Fluorid aufnahmen. Das könnte zum Beispiel über das Trinkwasser erfolgen. In Mexiko-Stadt liegt der Fluoridgehalt im Trinkwasser zwischen 0,15 ppm und 1,38 ppm. In Deutschland enthalten über 90 Prozent der Trinkwässer nicht mehr als 0,3 ppm Fluorid. Ausgangspunkt war die Promotionsarbeit von Deena B. Thomas, eine der Studien-Autorinnen. Vier von fünf Gutachtern ihrer Dissertation waren als Autoren an der späteren Studie beteiligt. Das Ergebnis überrascht, oder auch nicht: Weder die aufgenommene Fluoridmenge der Mutter noch die Fluoridkonzentration im Urin der untersuchten Kinder hatte einen Einfluss auf den IQ. In diesem Zusammenhang ist auch eine Studie von Broadbent et al. von Bedeutung, in der bei etwa 1.000 Probanden ein Zusammenhang zwischen Fluoriden und dem IQ gesucht wurde. Von der Geburt bis zum 38. Lebensjahr wurde die Aufnahme aus unterschiedlichen Fluoridquellen analysiert und mit dem Intellekt in Korrelation gebracht. Die Studie fand keinerlei Hinweise auf einen Zusammenhang. Fluorid macht also weder dumm noch ist es in geringen Mengen schädlich. Aber nutzt es denn wirklich der Gesundheit?
Der Zahnschmelz ist die härteste Substanz im menschlichen Körper. Er besteht zu fast 100 Prozent aus Hydroxylapatit, einem hydroxylierten Calciumphosphatsalz. Seit langer Zeit werden Zahncremes mit Fluorid eingesetzt, um den Zahnschmelz zu härten. Durch den Austausch des Hydroxid- gegen ein Fluoridion entsteht dabei auf der Oberfläche des Zahnschmelzes Fluorapatit, das unempfindlich gegenüber Säuren ist und so den Zahnschmelz vor aggressiven Faktoren schützt. Seit einigen Jahren werden Zahncremes mit „flüssigem Zahnschmelz“ angeboten. Sie sollen den Zahn mit enthaltendem mikrofeinem Hydroxylapatit mineralisieren und vor Hitze- und Kälteempfindlichkeit schützen. Das Hydroxylapatit lagert sich in einer hauchdünnen Schicht auf Oberflächen an. Diese Schicht sorgt in der Tat für die Reduktion von Sensibilitäten und für einen höheren Glanz, hellt die Zähne auf und schützt sie vor einem Säureangriff, so die Ergebnisse eine Studie von Orsini et al. Auf der Zutatenliste dieser Zahncremes findet man auch manchmal Fluorid. Die Kombination aus Hydroxylapatit und Fluorid in der Tube hat allerdings ein technisches Problem: Das Fluorid soll sich mit dem Zahn verbinden, der aus Hydroxylapatit besteht. Wenn nun die Zahncreme bereits feines Hydroxylapatit enthält, reagiert das Fluorid bereits in der Tube mit Hydroxylapatit. Aus diesem Grund wird in den meisten Hydroxylapatit-Zahncremes auf Fluorid verzichtet, was aus kariespräventiver Sicht nicht sinnvoll erscheint. Grunau et al. raten in ihrer Publikation vom künstlichem Zahnschmelz ab: Ein fluoridfreies Produkt, das Zink-Carbonat-Hydroxylapatit enthält, sollte nicht empfohlen werden, da es keinen kariespräventiven Effekt aufweist. Auch die Stiftung Warentest orientiert sich bei Untersuchungen von Zahncremes daran. Zahncremes ohne Fluoride sind im Hinblick auf Kariesprophylaxe nicht geeignet. Die meisten dieser Studien wurden allerdings nicht an menschlichen Probanden sondern u.a. an Zähnen von Rindern unter Laborbedingungen durchgeführt. Hanning et al. kritisiert, dass sich dies keinesfalls auf Menschen übertragen lasse.
Eduard R. Dörrenberg, Geschäftsführer des Unternehmens Dr. Kurt Wolff, schürt in einem Video gezielt die Ängste der Verbraucher vor Fluoriden. Seine Zahncreme ist frei von „toxischen“ Fluoriden. Diese Botschaft wird auch in der TV-Werbung verbreitet und führt dazu, dass die Zahnärztekammer mit Verbraucheranfragen überschüttet wird. Die Bundeszahnärztekammer votiert unmissverständlich für Fluoride zur Kariesprävention und spricht sich in einer Patientenbroschüre klar gegen die Fluorkritik aus. „Die Verwendung fluoridhaltiger Zahnpasta ist eine der wirksamsten kariespräventiven Maßnahmen. Fluoride sind eines der weltweit am gründlichsten untersuchten Medikamente: In über 300.000 wissenschaftlichen Untersuchungen wurde bisher kein Hinweis auf eine etwaige Gefährdung der Gesundheit bei korrekter Einnahme gefunden. Der starke Kariesrückgang in Deutschland wird unter anderem auch der Fluoridanwendung zugeschrieben“. Die Kammer betont außerdem, dass neben fluoridhaltigen Zahncremes auch fluoridhaltiges Speisesalz zum Kochen und Backen verwendet werden soll. Wer Zahncreme und Salz mit Fluorid verwendet, kann jedoch auf die Einnahme von Fluoridtabletten zur Kariesprophylaxe verzichten. In Deutschland nehmen Erwachsene durch unterschiedliche Fluoridquellen zwischen 0,4 und 1,5 mg des Halogens auf. Der Richtwert der Deutschen Gesellschaft für Ernährung liegt bei 3,5 Milligramm. Schwarzer Tee, Mineralwasser und Fisch sind einige Fluoridquellen. Fluorid wird nur durch Verschlucken vom Körper aufgenommen. Ein Risiko durch fluoridierte Zahnpasten besteht bei sachgemäßem Gebrauch nicht, weil der Mund nach dem Putzen ausgespült wird. Selbst bei versehentlichem Verschlucken liegt die Menge innerhalb der Richtwerte. Die Stiftung Warentest wertet alle fluoridfreien Zahnpasten grundsätzlich ab. Wie so oft ist es bei kritischen Berichten über Verfahren oder Therapien in der Medizin notwendig, die Fakten genau zu studieren und von Populismus oder Panikmache zu trennen. Dies gilt auch für die Nutzen-Risikobewertung von Fluorid.