Wir befinden uns im Zeitalter der Beschleunigung der Welt, was eine Adaptation an neue Kommunikationsgeschwindigkeiten erforderlich macht. Auch psychotherapeutische Prozesse – als Kommunikationstechnologie – stehen vor einer neuen Herausforderung: wie können sie in der beschleunigten Welt bestehen, ohne an Qualität zu verlieren?
Das Zeitalter der Selbstoptimierung
Wir befinden uns im Zeitalter der Beschleunigung und Selbstoptimierung. Das Magazin der „Psychotherapeut“ von März dieses Jahres fiel mir kürzlich in die Hände. Der Titel: „Der optimierte Mensch“. Im Artikel „Optimize yourself“ von Diana Pflichthofer heißt es dort: „Ganz und gar unzeitgemäß scheint es heute zu sein, sich für etwas, für sich, für den anderen Zeit zu nehmen. ‚Scheint‘, weil dieses zu unterschreiben eigentlich schon bedeutet, sich dem Diktat des allgegenwärtigen Kapitalismus zu beugen.“
Selbstmarketing ist ein weiteres dieser Stichwörter. Wer sich vermarktet muss schnell sein, reagieren. Facebook misst und veröffentlicht zum Beispiel die durchschnittliche Antwortzeit auf einer Facebook-Page: „antwortet innerhalb von x Minuten“ – Geschwindigkeit ist zu einer Währung geworden.
Aber auch psychotherapeutische Prozesse, als Kommunikationstechnologie, stehen vor einer neuen Herausforderung: wie können sie in der beschleunigten Welt bestehen ohne an Qualität zu verlieren?
Warum Kommunikation aus dem Reflex dem Patienten schadet
Der „psychotherapeutische Raum“ (insbesondere in der Psychodynamischen Psychotherapie) ist ein Ort, an dem wir nicht wie im Alltag kommunizieren.
Innerhalb eines klaren und transparenten Rahmens versuchen wir viel mehr, die Aussagen hinter dem Gesagten und die Bedeutung des scheinbar Unbedeutenden zu verstehen. Das ist deshalb wichtig, weil dem seelisch Kranken etwas abhanden gekommen ist. Er hat ein Stück von sich selbst, eine wichtige Kontaktstelle zur Welt verloren oder einen inneren Kompass, der nicht mehr abzulesen ist. Kurzum: In einer Therapie geht es zunächst darum zu verstehen, was eigentlich los ist.
Weil die Ursachen unbewusst verborgen sind, sich in quälenden Symptomen äußern und nicht einfach verbalisiert werden können, gleicht die Ursachenklärung einer mittelgroßen Schatzsuche. Jeder mögliche Hinweis muss auf dem Puzzle der Schatzkarte auf seine Relevanz überprüft werden, vor allem Randbemerkungen, Emails, SMS, Anrufbeantworter-Sprüche, Facebook-Messages. Sie entstehen nämlich häufig aus dem Bauch, aus dem Gefühl der Eile, der Dringlichkeit.
Für uns Psychotherapeuten ist es wichtig, dem einen Raum zu geben und gemeinsam mit unseren Patienten einen Verstehensprozess zu beginnen. Dafür ist es jedoch schädlich, gleich den Ball zurückzuspielen und reflexhaft zu antworten. Weil wir uns dann vielleicht gut verstehen und das angenehme Gefühl einer schnellen Resonanz erzeugen, jedoch nicht auf die tiefere Schicht der eigentlichen Nöte und Ängste vorstoßen. Wir hätten einen Krückstock geschaffen ohne verstanden zu haben, warum das Bein humpelt.
Gedanken müssen reifen
In einer Psychotherapie übt man wieder, Gedanken reifen zu lassen. Dies scheint im beschleunigten Alltag immer schwieriger zu werden. Gedanken reifen lassen heißt auch, nicht jede Frage sofort zu beantworten. Sondern es heißt, die Frage und ihre Bedeutung wirken lassen zu können. Und verschiedene Antworten und ihre Auswirkungen einmal zu durchdenken. Vielleicht kennen Sie das: Wenn man eine Email nicht am selben Tag beantwortet, sondern zwei Tage liegen lässt, fällt die Antwort ganz anders aus, als man am Anfang dachte. Völlig unbemerkt hat das Thema in einem weitergearbeitet und konnte neu geordnet werden. Früher sprach man vom „nochmal drüber schlafen“. Keine schlechte Idee ... wenn bloß nicht überall die „Sofortkauf-Schaltflächen“ leuchten würden.
Herausforderung für Patienten und ihre Psychotherapeuten
Im therapeutischen Raum gibt es keinen Sofortkauf. Die Kunst besteht darin, das Handeln einmal hinten anzustellen und einen Gedanken, eine Sorge, einen Impuls aus verschiedenen Himmelsrichtungen zu beleuchten. Das kann für den modernen Menschen ungewohnt sein. Gleichzeitig hat es etwas Heilsames, diesen Raum zunächst in der Therapie wieder zu entdecken – und dann auch für sich selber, ganz alleine. Für uns Therapeuten gilt das Gleiche: Es ist ungewohnt, Anfragen liegen zu lassen oder eigenen Impulsen nach einer schnellen „das-wird-schon-Antwort“ zu widerstehen, zumal die Alltagskommunikation heute durch WhatsApp und andere Innovationen eine rasante Geschwindigkeit angenommen hat.
Patienten und Psychotherapeuten müssen letztlich deutlicher als früher klären, wozu sie schnelle, digitale Kommunikationswege nutzen können und wollen. Noch viel mehr als im Alltag wird deutlich, dass es sich im Rahmen einer Psychotherapie nur um Hilfsmittel handelt, wenn wir ihre Verwendung in einen kommunikativen Zusammenhang, in eine Beziehung einordnen können. Das Reflektieren darf nicht zu Gunsten der Geschwindigkeit gekürzt werden.
Das Eigentliche, das therapeutisch Wirksame wird sich nur in einem entschleunigten Austauschen von Gedanken und Gefühlen entfalten können.
Bei wichtigen Überlegungen ist es wahrscheinlich wie bei gutem Wein: Je älter desto besser.