Ein Pop-Up-Buch über die Befindlichkeiten einer werdenden Mutter. Das rosa Heft in Din A4, über die Zeit bunt ergänzt um Ultraschall-Schnappschüsse, Kurven und Laborergebnissen, könnte so manch Zwölfjährige vor Neid erblassen lassen. Ziemlich abenteuerlich sieht es am Ende aus.
Für die Studenten besteht für die tägliche Morgenbesprechung Anwesenheitspflicht. Deren Sinn und Zweck erschließt sich mir noch nicht ganz. Aber nun sitze ich brav zwischen meinen Kommilitonen in zweiter Reihe und schaue um mich. Und für den aufmerksamen Betrachter sind allein die Dossiers eine Augenweide. Über die Zeit sind in ihnen sogar kleine Zeichnungen zu finden – viele Gynäkologen erklären ihren Patientinnen sachliche Inhalte mit Hilfe einer Skizze. Das ist für die Patientinnen nicht nur verständlich, sondern meist auch recht unterhaltsam.
Kunst in der Morgenbesprechung
Auch die Seite der Hebammen, auf der der Geburtsvorgang protokolliert wird, ist durchaus ästhetisch: Die Lage des Kindes wird mit Hilfe eines Symbols beschrieben, das aussieht, als hätte jemand das Peace-Zeichen malen wollen und nicht mehr ganz genau gewusst, wie es denn aussieht; ein großes 'Y' in einem Kreis. Es steht für die noch ertastbaren Suturen = Nähte zwischen den einzelnen Knochen, die schließlich zusammenwachsen und den Schädel bilden. Die Öffnung des Muttermunds wird in einem zweifarbigen Graphen dokumentiert. Die Ergebnisse der Urinproben sind eingeklebt und aufklappbar, dahinter verbergen sich oft noch handschriftlich notierte Untersuchungsergebnisse.
Ärztehandschriften, auch so ein Thema. In Summe und verschiedenen Farben sehr ansehnlich, wenn auch eher von einem künstlerischen als von einem leserlichen Gesichtspunkt aus. Kleine Klebe-Namensschilder der Patientin werden als Tesafilm zweckentfremdet.
Das Ausklappen des ziehharmonika-artig gefalteten Protokolls der Wehenaktivität und der kindlichen Herztöne ist jedes Mal wieder mein kleines Highlight in der ansonsten sehr trockenen Besprechung, die jeden Morgen ähnlich abläuft und sich im Wesentlichen den Geburten der letzten 24 Stunden widmet. Um mich herum hören die wenigsten der Studenten zu, die Fleißigen haben ein Fachbuch auf dem Schoß, die anderen ihr Handy.
Franzosen sind unentbehrlich, Deutsche haben Ferien
Gestern hat mir eine französische Kommilitonin erzählt, dass sie hofft, für ein einmonatiges Praktikum nach Kanada freigestellt zu werden. Die Uni lässt jedes Sommersemester nur 5 Prozent der Studenten solch eine Chance wahrnehmen. Offizielle Begründung: die 'Externes' würden in den Krankenhäusern gebraucht.
Mir gefällt es, dass die Studenten in Frankreich im Krankenhaus schon ihre feste Rolle haben. Gleichzeitig bin ich aber überrascht, dass sie als gar so unentbehrlich erachtet werden; wo ich doch auch oft beobachte, dass sie nicht nur zum Arbeiten, sondern in erster Linie zum Lernen da sind. Und das kann man doch besonders gut im Ausland! Mir scheint, als hätte die Fakultät den Wert einer Auslandserfahrung noch nicht erkannt, was mich empört. Aber das aufrührerische Potential hält sich bei den Medizinern im sonst streik- und revolutionsfreudigen Frankreich in Grenzen. Und so werden 95% brav Ihren Sommerdienst ableisten, sitzen weiterhin morgens ihre Zeit in der gynäkologischen Morgenstunde ab und sinnieren über dies und das.
Mir gefällt doch vieles am Studium in Deutschland besser. Mit an erster Stelle: Die gute alte Tradition der Semesterferien.
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