Von fixen Ideen und festen Vorsätzen.
Warum überhaupt weg? Gute Frage!
Und, wie immer bei solchen Fragen ist die Antwort nicht einfach. Obwohl die Frage, wie man auf die Idee kommt, zu beantworten, ist wahrscheinlich nicht so schwer: Wer hat denn nicht schon mal darüber nachgedacht, einfach die Sachen zu packen und zu verschwinden?
Meine besten Freundinnen und ich haben im Studium Stunden damit verbracht, uns auszumalen, wie wir erst unsere Bücher aus dem Fenster werfen, dann hinterher springen und an einem warmen Ort mit weißen Stränden ein neues Leben als Barkeeper beginnen. Oder als Perlentaucher. Oder Yak-Hirte.
Und auch später kommen sie, diese Murmeltier-Tage, an denen man schon beim Augenaufschlag weiß: das wird wieder SO ein Tag.
Warum man sich dann tatsächlich entscheidet zu gehen, ist dann wahrscheinlich doch komplizierter.
Soll ich oder soll ich nicht?
Denn ich mag meinen Job. Ich bin gerne Allgemeinmediziner, trotz endlosen Papierkrams, anstrengenden Nachtschichten und Schnupfen-Epidemien. Ich mag meine Kollegen und auch die meisten Patienten. Ich bin zu jung für eine Midlife-Crisis und zu faul für ein Burnout (dixit Beste Freundin).
Ich mag nur keine Routine, und ich bin geradezu krankhaft neugierig. Und ich weigere mich, mir einreden zu lassen, mit dem Doktortitel sei der Spaß vorbei (weil wir ja während des nicht enden wollenden Studiums das Leben derart in vollen Zügen genossen haben, dass wir gar nicht mehr wussten, was wir mit der ganzen Freizeit anstellen sollten) und der Sinn und Ernst des Lebens bestünde darin, sich jetzt festzulegen, wie das Leben bis zur Rente auszusehen habe. Ah, und natürlich darin, Enkelkinder in die Welt zu setzen, um das nicht zu vergessen.
Natürlich kann man vernünftig sein, sich erstmal etwas aufbauen, Sicherheiten schaffen etc. ... Wenn der Brief aus Hogwarts schon nicht kam und bisher immer noch niemand Anstalten macht, einem ein magisches Zeichen auf die Tür zu zeichnen.
Oder man ignoriert tapfer die tickende biologische Uhr, die ersten grauen Haare und sämtliche Unkenrufe und zieht los.
Wie kommt man gerade auf Neuseeland?
Abgesehen von den durch einschlägige Filmtrilogien weltweit bekannten großartigen Naturpanoramen assoziiert man mit Neuseeland doch eher ... Schafe? Kiwis? Rugby? Auf jeden Fall erstmal nicht Medizin. Die Medizin war allerdings nicht der erste Grund, warum ich mich auf den Weg gemacht hatte, vor drei Jahren, direkt nach dem Facharzt.
Ich hatte damals aus diversen Gründen die Nase voll: Das letzte Assistenzjahr war extrem anstrengend gewesen. Und die Praxis, in der ich meine Facharztausbildung gemacht hatte, hatte es aus angeblich finanziellen Gründen vorgezogen, lieber zwei neue Assistenzärzte einzustellen, als mich fertigen Facharzt zu übernehmen. Dass mir danach über drei Ecken zugetragen wurde, dass der eigentliche Grund darin lag, dass zwei der männlichen Kollegen im überwiegend weiblichen Praxisteam darauf bestanden hatten, dass der nächste neu eingestellte Kollege ein Mann sein sollte, machte meine Laune nicht besser.
Der Frust in Verbindung mit dem drohenden belgischen* Winter (bestehend größtenteils aus Regen von Oktober bis Mai) und dem Umstand, dass ich gerade noch ein Work&Travel-Visum beantragen konnte, sorgten dafür, dass ich kurzerhand den Rucksack packte. Schafe, schöne Landschaften im Sommer und keine Medizin? War mir recht.
Allgemeinmedizin ganz ohne Niederlassung?
Irgendwann in den insgesamt sechs Monaten in Neuseeland – in denen ich mich mit allem, aber nicht mit meinem Beruf beschäftigt habe – traf ich auf einer Wanderung Zack, einen amerikanischen Arzt, der als „Locum“, also quasi als Vertretung auf Zeit, in verschiedenen Allgemeinmedizin-Praxen in Neuseeland arbeitete und die Zeit zwischen den Anstellungen für Urlaub nutzte.
Ich war fasziniert. In Belgien ist die Idee von Allgemeinmedizin fest mit der Vorstellung verbunden, irgendwo seine Praxis zu gründen oder eine solche zu übernehmen und sich dann nach Möglichkeit nicht mehr wegzubewegen. Anderswo schien es durchaus normal zu sein, gerade als junger Arzt, erstmal eine Weile als Vertretung in verschiedenen Settings zu arbeiten, bevor man sich festlegt. Wenn man sich denn dann überhaupt noch festlegt, denn Locum-Work wird gut bezahlt und von manchen Ärzten vorgezogen.
Zack machte mich auf eine Recruting Agency für Allgemeinmediziner aufmerksam, NZLocums, die ihm seine Arbeit ermöglicht hatte. Die Agentur wird von der neuseeländischen Regierung finanziert und hat den Auftrag, medizinische Fachkräfte für das ländliche Neuseeland zu rekrutieren. Kostenlos.
Ich versuchte mein Glück
Von Zack ermutigt, nahm ich mit der Agentur Kontakt auf und wurde sofort zu einem persönlichen Gespräch eingeladen. Nach einem sehr informativen Gespräch mit Jacintha, einer der Koordinatorinnen, mussten wir leider mit Bedauern feststellen, dass meine Arbeitserfahrung nicht ausreichte. Aber ich bekam trotzdem mehrere Kugelschreiber und so viele Informationsbroschüren, dass ich Angst bekam, wegen Überschreitung des Maximalgewichtes auf dem Rückflug draufzahlen zu müssen.
Zurück zu Hause (rechtzeitig zum Sommeranfang) wurde ich dann doch noch von meiner alten Praxis um eine Urlaubsvertretung gebeten und danach direkt von einer ehemaligen Praktikumsleiterin eingeladen, an der Gründung einer neuen Gemeinschaftspraxis mitzuwirken. Alles passte, und die Arbeit in der neuen Praxis war sehr angenehm.
Und dann war da diese Mail in meinem Postfach ...
Und dann fand ich Anfang des letzten Jahres eine Mail in meinem Postfach mit dem ungefähren Inhalt: „Wir haben Sie noch in unserer Datenbank. Laut meinen Notizen zu unserem damaligen Gespräch müssten Sie jetzt ausreichend Arbeitserfahrung haben und ich wollte mich erkundigen, ob Sie noch Interesse haben, in Neuseeland zu arbeiten? MfG, Jacintha“
Oh ...
Ja?
Fortsetzung folgt ...
* Belgien? Ja, lange Geschichte. Kurze Zusammenfassung: Das Aufwachsen in der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens (ja, die gibt es! Auch bekannt als Ostkantone) und der NC in Deutschland sorgten dafür, dass ich zwar einen deutschen Pass und ein deutsches Abi, aber ein belgisches Universitätsdiplom habe. Europa auf Umwegen.
Bildquelle (Außenseite): Bernard Spragg. NZ, flickr