Wozu dienen populärwissenschaftliche Magazine wie Gehirn&Geist, wenn verbreitete Falschinformationen subtil bestätigt werden. In einem aktuellen Online-Beitrag macht das Magazin deutlich, dass es die unweit zurückliegenden Entwicklungsstränge der Medizin und der Psychologie nicht mal grob auseinanderhalten kann oder will. Zeit, etwas Licht ins Dunkel zu bringen.
Quelle: https://www.facebook.com/gehirnundgeist/posts/1288315924565829 „ ... Es ist ein neues Quiz-Format“ entschuldigt sich die Zeitschrift Gehirn&Geist auf Facebook, nachdem ein Leser auf grobe Fehler des beliebten populärwissenschaftlichen Magazins (> 30.000 Exemplare Auflage) hingewiesen hatte, ohne diese aber zu korrigieren.
Aber fangen wir mal vorne an. Und schieben wir die Frage nach hinten, ob das alles überhaupt wichtig ist oder ob es nicht völlig egal ist, was die Gehirn&Geist ins Internet schreibt.
Auf Facebook postete das Magazin Ende dieser Woche ein Quiz, in dem beantwortet werden sollte, von welchen berühmten Psychologen die sieben historisch relevante Zitate jeweils stammen.
Was wohl nur dem „Fachmann“ auf den ersten Blick auffällt: Ein Teil der als „berühmte Psychologen“ bezeichneten Persönlichkeiten gehört eigentlich in die Gruppe der berühmten Ärzte. Unter anderem diese hier:
Freud (1856–1939) war ein österreichischer Arzt für Neurologie und der Begründer der Psychoanalyse. Er hatte in Wien Medizin studiert und sich anschließend intensiv mit Neurophysiologie und Pharmakologie, später auch mit Neuropathologie beschäftigt. Er ließ sich schließlich als Arzt in Wien nieder und entwickelte die Methode der Psychoanalyse, nicht etwa in Abkehr von der Medizin, sondern um die Sichtweise auf Erkrankungen um die subjektive Ebene zu erweitern. Erst sehr viel später konnte seine Methode auch von anderen Berufsgruppen, den damals sogenannten „Nicht-Ärzten“ durchgeführt werden („Laienanalyse“).
Adler (1870-1937) studierte ebenfalls Medizin in Wien und arbeitete zunächst als Augenarzt, später als Allgemeinmediziner. Er nahm an Veranstaltungen von Freud teil und entwickelte seine eigene Lehre von der Psychoanalyse, die sich besonders auf das Organsystem des Menschen bezieht. 1907 veröffentlicht er die „Studie über die Minderwertigkeit von Organen“ und legt als Mediziner einen weiteren Grundstein zum Verständnis von Körperbeschwerden, die durch psychische Auslöser (mit)bedingt sind.
Der Schweizer Arzt und Psychiater C. G. Jung (1875-1961) studierte Medizin in Basel, beschäftigte sich viel mit Psychosen, entwickelte eigene psychodynamische Konzepte (Analytische Psychologie) und wurde Vorstandsmitglied der Internationalen Allgemeinen Ärztlichen Gesellschaft für Psychotherapie (IAÄGP). Übrigens gehörte der Schriftsteller Hermann Hesse zu Jungs Patienten.
Das sind also alles Ärzte – aber was ist die Psychologie?
Die Psychologie ist eine streng empirische Wissenschaft und keine Heilkunde wie die Medizin. Sie beschäftigt sich mit den Erleben und Verhalten des Menschen, nicht um Krankheiten zu heilen, sondern zunächst erstmal als eine Grundlagenwissenschaft.
Hierbei bilden Statistik und Anthropologie die Grundlage des Faches Psychologie. Psychologie gibt es als eigenständige wissenschaftliche Disziplin seit Anfang des 19. Jahrhunderts. Wenn man ein Psychologiestudium abgeschlossen hat, kann man heute in Deutschland eine mehrjährige Ausbildung zum Psychotherapeuten machen.
Ist das vielleicht der Link, der Gehirn&Geist im Kopf herumspukte?
Screenshot aus dem Quiz-Beitrag über den Arzt Sigmund Freud
Wo liegen die Probleme des kleinen Quiz-Beitrages?
Das Titelbild mit dem Mann auf der Couch soll beim Betrachter wohl die Assoziation zur Psychoanalyse wachrufen. Diese aber entstand gar nicht aus der empirischen Psychologie, sondern aus der Medizin. Das Foto passt also nicht, wenn man über Zitate „berühmter Psychologen“ sprechen möchte. Es verursacht eher ein medizinhistorisches Kauderwelsch im Kopf des Lesers.
Dann kommen die erwähnten Ärzte, die wichtige Impulse für die spätere Entwicklung der medizinischen Gebiete Psychiatrie, Psychosomatische Medizin und Psychotherapie geliefert haben. Sie werden als Psychologen bezeichnet.
Ja, aber ist das denn nun so schlimm? Die fühlen sich halt an wie Psychologen!
Die entscheidende Frage ist, wieviel Niveausenkung sind wir bereit, zu ertragen? Und ob man den Anspruch „Man kommt auch durchs Leben, ohne die Unterschiede zwischen Bundeskanzler, Bundespräsident, Bundestagsabgeordneter und Minister zu kennen“ für sinnvoll hält oder nicht.
Wer sich mit der Gehirn&Geist beschäftigt, sollte jedoch auch bei mittlerer Komplexität – wie dem Unterschied von Medizinern und Psychologen – Exaktheit erwarten können.
Das Gravierendste ist, dass neuere Forschung den Zusammenhang von körperlichen und psychischen Prozessen immer besser belegen kann. Also die „alten“ Ärzte Freud, Adler, Jung und wie sie alle hießen mehr Recht mit ihrer Medizin für Körper und Psyche hatten als wir zwischenzeitlich dachten. Wieso kann das nicht klar benannt werden? Gerade das interessiert doch die Follower von Gehirn&Geist! Die populärwissenschaftliche Zeitschrift firmiert immerhin mit dem Slogan „Psychologie. Hirnforschung. Medizin.“
Das größte Missverständnis zur Medizin psychischer Erkrankungen ist: Sie ist Teil der Humanmedizin (und gehört eben nicht einfach in die „Psychologie“ oder ähnliche Bereiche ausgelagert). Solche Beiträge schreiben eine Trennung auf sehr subtile Weise immer weiter fort. Als kleines Quiz – mal im „Vorbeiklicken“– ist das besonders postfaktisch.
Bestehende Fehlannahmen werden viel stärker bestätigt, wenn der Text gar nicht zum reflektieren einlädt, sondern Fakten suggeriert. Noch ein Bild von der Analyse-Couch dazu und fertig ist das Psycho-Kauderwelsch.
UPDATE vom 20.01.2017, 20.10 Uhr: Gehirn&Geist hat die hier beleuchteten Zitate kurzfristig von "Psychologen" in "Seelenkundler" bzw. "Forscherinnen und Forscher" an einer anderen Stelle verändert. Kenntlich gemacht oder kommentiert hat das Magazin diese Korrektur nicht.
Quellen:
http://www.spektrum.de/quiz/wer-hats-gesagt-7-zitate-beruehmter-psychologen/1433513
http://www.wikipedia.de
Bildquelle (Außenseite): Enrico, flickr