Mit jedem klinischen Semester nimmt bei Medizinern die Empathiefähigkeit ab. Mehr klinische Empathie hat viele Vorteile für Patienten und Mitarbeiter.
Befragt man Mitarbeiter im Gesundheitswesen, sind sich alle einig: Eine wertschätzende, empathische Haltung ist wichtig. Auch Patienten wünschen sich neben der fachlichen Expertise mehr Verständnis und Empathie von ihren Ärzten.
Im Medizinstudium steigt das Fachwissen angehender Mediziner von Jahr zu Jahr. Gleichzeitig sinkt Studien zufolge mit jedem klinischen Semester die empathische Haltung.
Kostet es mehr Zeit, empathisch zu sein?
Studien zeigen, dass Ärzte ihre Patienten bei der Symptomschilderung nach durchschnittlich 18 Sekunden unterbrechen.
Natürlich kommt der Patient zum Arzt, weil er Hilfe sucht und sich Heilung verspricht. Dabei wollen Patienten nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit Ihren Gefühlen, Ängsten und Bedürfnissen als ganzer Mensch gesehen werden.
Viele Mediziner haben aber Sorge, dass das Ansprechen von Gefühlen Zeit kostet. Und da wir im Studium auch kaum den Umgang mit den Gefühlen gelernt haben, konzentrieren wir uns lieber auf die Sachebene und auf die Fakten. Aber Patienten wollen nicht mehr Fakten, sie wollen mehr Verständnis.
Untersuchungen legen nahe, dass mehr Empathie zu besseren medizinischen Ergebnissen führt. Aber im Moment scheint das Gesundheitssystem eher in die andere Richtung zu steuern.
Schaffen wir die Grundlagen für mehr Empathie oder für mehr Entfremdung?
Überall können wir die gleichen Diskussionen verfolgen: Kleine Krankenhäuser sind unrentabel. Große Häuser sind effizienter, leistungsstärker und bieten mehr Qualität. Betriebswirtschaftlich mag das sein, aber für die Beziehung zum Patienten besteht die Gefahr der wachsenden Entfremdung. Denn jede Abteilung und jedes Team ist oft nur noch für einen Teilaspekt der Behandlung zuständig. Hier wird Blut abgenommen, dort sonografiert, operiert und nachbehandelt. Spätestens wenn wir nur noch vom „Blinddarm in Zimmer 117“ sprechen, haben wir uns weit von dem Anspruch einer ganzheitlichen Behandlung entfernt.
Was ist Empathie?
Es gibt viele Definitionen von Empathie und leider wird es auch immer mehr zu einem Modewort, ohne Inhalt. Ursprünglich kommt es aus dem Griechischen. Folgt man dieser Studie, so kann man es auch ableiten vom deutschen Begriff „Einfühlung“. Dabei geht es darum:
Für eine gute Arzt-Patient-Beziehung muss der Arzt also in der Lage sein, die Gefühle seines Patienten zu erfassen und auch anzusprechen. Wir müssen uns in den Patienten hineinversetzen: Wie geht es ihm mit der Situation und seiner Erkrankung?
Während das Erkennen der Situation und der Gefühle uns oft noch gelingt, fällt uns das Ansprechen und Rückmelden oft schwer. Wir haben es nicht gelernt, fürchten uns vor der Reaktion des Patienten oder glauben, es koste uns zu viel Zeit. Wir sprechen dann lieber über Fakten, Diagnosen oder Untersuchungen. Wir bleiben auf der Sachebene und riskieren, dass sich der Patient nicht verstanden fühlt.
Welche Vorteile bringt Empathie?
Studien zeigen, dass Patienten, denen mit empathischer Grundhaltung und Kommunikation begegnet wird, zufriedener sind. Sie zeigen eine höhere Compliance gegenüber Medikamenteneinnahme und ärztlichen Empfehlungen. Die Zahl der Behandlungsfehler sinkt, da Patienten mehr Auskunft geben über ihre Symptome.
Andere Studien zeigten eine raschere Genesung und geringere Wahrnehmung von Schmerz. Es konnte gezeigt werden, dass Diabetes-Patienten, die bei empathischen Ärzten in Behandlung waren, 50 Prozent seltener Komplikationen im Behandlungsverlauf hatten. Patienten fühlen sich subjektiv besser und bewerten die Behandlung positiver.
Auch die Arbeitszufriedenheit des Personals steigt, das Konfliktpotenzial in Teams und mit Patienten und Angehörigen sinkt.
Könnte es sich also lohnen, für eine empathische Haltung gegenüber Patienten etwas Zeit zu investieren?
Wie geht das in der Praxis?
Eine einfühlsame Haltung kann man nicht von jetzt auf nachher „erlernen". Es braucht Zeit, Geduld und Übung. Aber schon mit kleinen Veränderungen kann man viel bewirken. Drei Schritte sind dafür hilfreich:
Aktives Zuhören setzt voraus, dass wir uns wirklich für die Situation und die Gefühle des Patienten interessieren, statt nur für die Suche nach den Metastasen. Wir achten auf die Sachinformationen und ebenso auf die Emotionen und Gefühle des Patienten. Mit gelegentlichen Zusammenfassungen können wir dem Patienten signalisieren, dass wir ihn verstanden haben.
Aktives Zuhören bedeutet, sich ganz auf den Patienten zu konzentrieren. Wir halten uns (vorerst) mit Ratschlägen, Kommentaren, Bewertungen oder unserer eigenen Meinung zurück. Anders als in der klassischen Anamnese müssen wir nicht immer gleich reagieren und Fragen stellen. Stattdessen reflektieren wir das Gesagte und geben dem Patienten die Gelegenheit, mehr zu erzählen.
Wenn wir empathisch zuhören, bekommen wir eine Ahnung vom Gefühlszustand unseres Patienten. Hat er Angst, weil er die Symptome nicht einschätzen kann? Ist er enttäuscht und traurig, weil trotz abgeschlossener Behandlung wieder Symptome auftreten? Ist er wütend oder ratlos, weil der letzte Arzt eine ganz andere Diagnose gestellt hat und er jetzt nicht mehr weiß, wem er trauen soll?
Wir können die Gefühle nur erahnen, deshalb fragen wir den Patienten, ob wir mit unserer Vermutung richtig liegen:
„Haben Sie sich verunsichert gefühlt, als die Symptome plötzlich wieder gekommen sind?“ „Ich kann mir vorstellen, dass es Sie sehr verunsichert, dass die jetzige Untersuchung zu einem anderen Ergebnis kommt?“ „Viele Menschen verspüren Angst, wenn Sie das erleben. Wie ist es bei Ihnen?"
Durch Fragen dieser Art signalisieren wir, dass wir uns nicht nur auf die medizinischen Symptome konzentrieren, sondern auch die Ängste, Gefühle und Gedanken des Patienten ernst nehmen. So fühlen sich Patienten als Ganzes wahrgenommen und können viel mehr Vertrauen in die Behandlung und Behandler gewinnen.
Empathie kann nicht damit enden, dass wir sie im ersten Gespräch anwenden und dann wieder zurückkehren zum technischen Abarbeiten. Wenn wir uns auch bei späteren Kontakten zum Patienten der Gefühle und Bedürfnisse bewusst sind, verändert das ganz von selbst die Qualität des Gesprächs
Kann man Empathie lernen?
Es gibt Menschen, die von Natur aus mehr empathische Grundhaltung mitbringen als andere. Aber Empathie ist grundsätzlich lernbar, durch Bücher (z.B. zu gewaltfreie Kommunikation), durch Kurse oder Artikel hier.
Einladung zum Ausprobieren:
Probieren Sie folgendes aus, wenn Sie im nächsten Erstgespräch mit einem Patienten sind: Hören Sie etwas länger als üblich zu und halten Sie sich nur etwas zurück mit der ersten Frage der klassischen Anamnese.
Schauen Sie im Gespräch zum Patienten statt in den PC und achten Sie neben den Sachinformationen auch auf die Emotionen des Patienten. Was geht wohl in ihm vor? Welche Gefühle können Sie wahrnehmen? Äußern Sie Ihre Vermutung über diese Gefühle und lassen Sie den Patienten sie bestätigen oder korrigieren, bevor Sie mit der Anamnese fortfahren.
Bekommt das Gespräch dadurch eine andere Qualität?
Schreiben Sie unten, welche Erfahrungen Sie machen!
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Bildquelle (Außenseite): John Nakamura Remy, flickr