Husten? Halsweh? Schnupfen? Alles kein Hinderungsgrund! Kopfschmerz, Fieber, das volle Programm? Krank werden ist was für Weicheier. Ein Arzt hat sich zum Dienst zu schleppen, notfalls mit dem Kopf unter dem Arm.
Dong! Was ist los? Ist die Nacht schon zu Ende? Und wo kommen all die Flugzeuge her, also die Flugzeuge in meinem Kopf. Und außerdem fährt da noch ein LKW herum, so ein richtig dicker Vierzigtonner, der dreht seine Kreise und treibt mich zum Wahnsinn. Ich rappel mich auf. Schlappe ins Bad.
Wer ist dieser Zombie da im Spiegel? „Hey, eines von den siebzehn Bieren gestern Abend muss schlecht gewesen sein, hahaha, schreit er mir entgegen.“ Aber da war nix mit siebzehn Bieren, noch nicht einmal ein einziges an diesem Wochenende. „Halt die Fresse, schreie ich zurück, also, ich versuche zu schreien, aber mehr als ein Krächzen bringe ich nicht hervor und auch das erstickt in einem Hustenanfall.
Paracetamol rein, dann zur Arbeit
Also gut, wo war nochmal das Paracetamol? Nach einer heißen Dusche bin ich immerhin fit genug, um in die Klinik zu schlurfen. Werfe mich in meine weiße Dienstkleidung. Brrr, ist das kalt! Dabei ist das Arztimmer eigentlich geheizt. Jetzt erstmal ’nen Kaffee ... die gute, alte Krankenhauskaffeeplörre, pfui Teufel! Also lieber einen Pfefferminztee? Auch eklig, aber zumindest heiß.
„Hallo, Herr Doktor, da sind Sie ja endlich! Können Sie mal ...? Tun Sie mal ...!‟ Ich rotze mich durchs Stationszimmer, huste in die Besprechung und jetzt ist es Zeit für die Visite. Nur mit Mundschutz. Auch Gummihandschuhe? Patienten wollen angefasst werden. Ein Arzt, der den Handschlag verweigert, kassiert böse Blicke. „Ich habe doch nicht die Pest, Herr Doktor!‟ Aber ich vielleicht?
Nach Hause gehen ist keine Option
Schwester Paula steckt mir ein Fieberthermometer ins Ohr. 39,4 °C. „Gehen Sie nach Hause, Herr Doktor!‟
„Was? Nach Hause? Ich? Ich bin doch kein Weichei! Ein Arzt wird nicht krank!“
„Und was ist, wenn Sie die Patienten anstecken?‟
Richtig. Oma Mühlenstrom hat gerade ihre zweite Lungenentzündung überstanden, mit viel Glück. Herr Salzamtmann hat ein viel zu schwaches Immunsystem nach seiner Chemotherapie, wenn er meine Viren abkriegt, dann war’s das vielleicht für ihn.
Trotzdem stiefele ich weiter über den Krankenhausflur. Irgendwer muss ja den Job machen, die eine Kollegin hat Urlaub, die andere ist gerade im Mutterschutz. Ein Arzt, der sich trotz Krankheit zur Arbeit schleppt, gefährdet seine Patienten. Das weiß man. Und man tut es trotzdem.
Warum gefährdet man seine Patienten?
Warum? Eine im September 2015 im renomierten Journal der American Medical Association (JAMA) veröffentlichte Studie nennt die Gründe: Weil man seine Kollegen nicht im Stich lassen will, weil man sich um die Patienten sorgt, weil es viel zu wenig Mitarbeiter gibt, weil man Angst hat vor Repressalien durch den Chef oder böse Blicke von den Kollegen und weil man den Anderen nicht zutraut, die Patienten genauso gut zu behandeln. Vor allem aber will man den Helden spielen.
Und die Moral von der Geschicht: „Multimodale Interventionen sind notwendig, um dieses Verhalten zu ändern.‟
Ähem. Ja. In Köln würde man sagen: Et is, wie et is und et kütt, wie et kütt! Vor einigen Jahren hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin eine Untersuchung herausgebracht. Darin ging es um Präsentismus – also um das Phänomen, dass Leute sich sich trotz Krankheit zur Arbeit schleppen, auch wenn sie eigentlich gar nicht arbeiten können. Wer das tut, der schadet sich langfristig selbst. Und die Kosten für die Gesellschaft sind – vermutlich – höher als die Kosten, die kranke Mitarbeiter verursachen, wenn sie nicht zur Arbeit gehen. Und das sogar dann, wenn sie einmal zu oft krank feiern.
Und dann noch ’gute Botschaft!
Und was bedeutet das? Ich schleppe mich mit einer weiteren Tasse Pfefferminztee zum Arztzimmer. Weg von den Patienten, erstmal eine Runde Aktenpflege. Das Telefon klingelt. Sarah ist dran, meine bezaubernd hübsche, junge Kollegin. Die hat heute Dienst, deshalb muss sie erst gegen Mittag kommen.
„Und, wie geht’s?‟, fragt sie fröhlich.
„Na, so lala“, sage ich.
„Ihr müsst heute leider ohne mich zurechtkommen!‟, fährt sie fort, „Ich bin leider krank. Und morgen auch!‟ Bingo. Morgen wird’s nämlich ganz eng. Da wäre ich mit Sarah alleine auf Station. Und wer wird wohl den Dienst machen? Ich lasse den Pfefferminztee stehen und schlappe hustend zum Pflegestützpunkt.