Letztens erzählte uns ein Stammkunde aus seinem Alltag im Pflegeheim. Im Großen und Ganzen war es eine lange Liste an Verboten und Bevormundungen – und das bei vollständig geistiger Fitness. Uns hat seine Geschichte traurig und wütend zugleich gemacht.
Der alte Herr lebte schon eine ganze Zeit alleine, als ein Schlaganfall ihn in den Rollstuhl und in ein Pflegeheim zwang. Er ist zwar etwas kauzig und eigenbrötlerisch, aber völlig klar im Kopf. Von ihm bekamen wir nun einen unglücklichen Anruf, ob es tatsächlich so sei, dass wir ihn nun nicht mehr beliefern dürfen. Wir verneinten, denn selbstverständlich ist das auch weiterhin möglich.
Wir erklärten ihm, dass sein Hausarzt die Rezepte bei uns abgeben lassen soll, wir richten das dann und unser Bote fährt es abends aus – wie immer in den letzten Monaten also, mit dem Unterschied, dass der Fahrer nun nicht mehr bei dem Kunden zuhause vorbei kommt, sondern die Medikamente direkt ins Heim bringt.
Im Rollstuhl zum Sitztanz
Unser Kunde erklärte uns daraufhin, dass die Heimleitung eine andere Apotheke hätte, die das ganze Haus beliefert, und es ablehnt, dass die Bewohner von ihrer bekannten Apotheke die Medikamente gebracht bekommen. Er erklärte, dass er seine Tabletten auch weiterhin selbst richten möchte, und dass ihm auch das verboten wurde.
Des Weiteren würde er genötigt werden, an Aktivitäten mit den zum großen Teil dementen Mitbewohnern teilzunehmen. Er würde gegen seinen Willen im Rollstuhl zum Sitztanz gefahren oder müsse sich zwei Mal die Woche im Gruppenraum irgendwelche Märchen anhören, die eine Pflegerin erzählt, obwohl er einfach in seinem Zimmer bleiben und ein Buch lesen möchte.
Alle gleich?
Bei allem Verständnis dafür, dass der Ablauf in einem Pflegeheim nicht zu sehr durch mündige Bewohner durcheinander gebracht wird – es gibt auch noch eine Restwürde, die uns niemand nehmen sollte. Man kann doch nicht alle der Einfachheit halber gleich behandeln, ob sie nun klar im Kopf sind oder nicht! Die freie Apothekenwahl ist jedenfalls etwas, das niemandem verwehrt werden darf. Möchte Herr Müller weiterhin seine Tabletten von uns bekommen, dann werden wir sie ihm auch bringen.
Was damit weiter geschieht, also ob er sie dann auch selbst in seinen Medikamentendosierer einräumen darf, liegt natürlich nicht mehr in unserer Hand. Auch der Zwang, an Aktivitäten teilzunehmen die nicht seiner Natur entsprechen, ist von uns nicht beeinflussbar. Aber es ist bedrückend, wenn man sich vorstellt, dass man selbst vielleicht irgendwann in einem Bett liegt und pausenlos mit Helene Fischer oder Stefan Mross beschallt wird, weil man sich nicht wehren kann.
Sich als Person „auflösen“
Kennt jemand die Geschichte „William und Mary“ von Roald Dahl? Ich habe sie vor gut 25 Jahren gelesen und noch sehr deutlich im Gedächtnis. Ich möchte niemals so fremdbestimmt sein, dass ich mich als Person quasi auflöse – aber was zählt schon der Wille des Schwächeren in diesem Fall gegen den Willen einer Heimleitung?
Fröhlichen Sitztanz dann allerseits ...