Die schönsten Büstenhalter habe ich nicht auf den Laufstegen von Victoria’s Secret gesehen, wo stereotyp strahlende Engel über einen Catwalk schweben, während Lady Gaga und Bruno Mars im Konfettiregen singen.
Die schönsten Büstenhalter habe ich auf Gozo gesehen. Auf Gozo, der kleinen Nachbarinsel von Malta, die aufgrund ihrer Größe den Erwerb eines PS-starken PKWs ad absurdum führt: Man würde bereits nach einmaligem unachtsamen Gas geben schon im Meer landen.
Gozo und seine Bewohner
Bewohnt wird dieses Eiland durch ein stolzes Inselvolk, welches nach überlieferten Traditionen und Vorstellungen lebt, unter anderem der, dass jedes Wetter sehr schlecht zum Schwimmen ist. Erst spät begreift man dann, dass jedes Wetter schlecht ist, wenn man nicht schwimmen kann.
Die britische Besetzung zu napoleonischen Zeiten brachte der Insel zusätzlich zur maltesischen Sprache eine Art Englisch, das vom Klang so eigen ist, dass meine Aussprache, aller Sprachdefizite zum Trotz, wohlwollend kommentiert wurde.
Ein Ort, wo ich viel über Sittsamkeit lernte, während ich Patienten mit meinem Stethoskop unter riesigen Leinentüchern untersuchte. Wo jedes mal von meinen männlichen Gesprächspartnern die Türen aufgerissen wurden, sobald sie alleine mit mir im Raum waren oder Fotos entstanden, auf denen ich genau diesen Männern voller Freude den Arm auf die Schulter legte, während sie bemüht waren, mit dem Rest ihres Körpers das Mindestmaß an Abstand zu erkämpfen. Ein Ort, wo ein Herzecho zum Familientreffen wurde und man sich Picknickkörbe für die Verwandtschaft, die hungrigen Kinder und zur Überbrückung der langen Wartezeiten mitnahm.
Zurück zum Büstenhalter ...
Genau dort habe ich sie das erste Mal gesehen, die schönen Büstenhalter. Und noch lange bevor ich sie gesehen habe, konnte ich ihr Herannahen bereits akustisch vernehmen. Ein leises undefinierbares Rascheln, wie wenn eine Katze durchs Herbstlaub schleicht.
Den Grund dafür findet man in den Büstenhaltern der stolzen Trägerinnen: In direkter Nähe zum Herzen findet man eine Bildgalerie, die mich an Oblaten und Glanzbilder meiner Kindheit erinnerten. Bilder von Engeln und Heiligen kamen zum Vorschein, die Anzahl der gesammelten Päpste ließ Rückschlüsse auf das Alter der Trägerin zu. Die Ränder der Büstenhalter umsäuten Schutzpatrone und andere Heilige, die an winzigsten Sicherheitsnadeln wie auf einer Wäscheleine aufgereiht waren und die Trägerin vor Krankheit, Unfällen und anderen Schicksalsschlägen bewahren sollten.
Der BH macht mal wieder Schlagzeilen
Während ich an die Kalksandstrände von Gozo dachte, las ich, dass der französische Sportwissenschaftler Jean-Denis Rouillon sich die Frage stellte, ob Frauen aus medizinischer Sicht überhaupt einen Büstenhalter brauchen, nachdem er bemerkt hatte, dass Frauen in der französischen Ski-Nationalmannschaft keine BHs beim Trainieren trugen. Ich hatte zunächst Skispringer gelesen und dabei an Sven Hannawald gedacht, der Probleme bekam, weil sein BMI unter 18,5 lag. Ich dachte also bei mir, dass er auch als Frau keinen BH brauchen würde.
Aber gut, es ging ja um die Ski-Nationalmannschaft und nicht um die Springer, also Frauen wie Sie und ich quasi. Ein Körper wie meiner, der laut Wasserwaage waagerecht auf dem Sofa liegt, zwei Kindern Nahrung und Nähe bot und dessen Mindesthaltbarkeitsdatum bald erreicht ist.
BHs: Sein oder Nichtsein?
Wer schon mal mit BHs zu tun hatte, weiß aber, dass das tägliche Problem mit den BHs nicht das Sein oder Nichtsein ist, sondern ein ganz anderes: die meisten passen einfach nicht. Es gibt Äpfel, Birnen, Trauben, Beeren, Melonen, Kiwis, Papayas und manchmal auch einfach nur recht viele Heiligenbilder, die in einem passendem Körbchen Platz finden wollen.
Deshalb ist es umso wichtiger, dass Thema Büstenhalter nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Als Ärztin und BH-Trägerin weiß ich, dass die Brüste einer Frau sich im Laufe ihres Lebens verändern können. Das bedeutet: mit 20 brauche ich vermutlich einen anderen BH als mit 55.
Ich weiß auch, dass ein BH mit zu kurzen oder zu schmalen Trägern die Nerven und Muskeln im Schulterbereich abklemmt. Dass das zu Kopf- und anderen Schmerzen führen kann, liegt auf der Hand. Ist der BH zudem in der Unterbrustweite zu groß, hängt das Gewicht des Busens am seidenen Faden: dem BH-Träger. Das drückt auf die Schulter, was wiederum Rückenschmerzen nach sich ziehen kann. Was also tun?
Wissenswertes und Informatives
Es gibt Menschen, die haben sich dem BH mit Leib und Seele verschrieben. Bei meiner Suche bin ich dabei auf Heidi gestoßen. Heidi und ihre Kolleginnen sehen überall falsche BHs. Das war mir gleich sympathisch, da ich mich auch immer wieder dabei erwische, wie ich auf fremde Handrücken starre und überlege, ob ein grüner oder sogar grauer Venenverweilzugang reinpassen würde.
Heidi und Ihre Kolleginnen nennen sich Brafitter („Bra-Fitter“) und helfen einem herauszufinden, welche BH-Größen und -Schnitte zur jeweiligen Brust passen. Die Vermessung erfolgt im Stehen, Liegen und vornübergebeugt, sodass der gewählte BH auch die Alltagstauglichkeit bestehen muss.
Suchst du einen Brafitter in deiner Nähe?
Es gibt Foren, in denen man sich informieren kann und geschlossene Facebook Gruppen, wo Frauen anderen Frauen zu einem besserem Körpergefühl verhelfen. Man kann dort Erfolgsgeschichten lesen, in denen Ehemänner ihren Dank ausrichten lassen, dass die Sache mit den Rückenschmerzen plötzlich irgendwie in Vergessenheit geraten ist oder eine Kardiainsuffizienz durch einen andern Büstenhalter plötzlich keine Beschwerden mehr macht.
Meine kleine nicht repräsentative Umfrage
Meinen Dank möchte ich den Damen aus solch einer Gruppe aussprechen, die sich an meiner kleinen, nicht repräsentativen Umfrage beteiligt haben. Es sind Frauen mit Kindern; Frauen, die einen BH zum Stützen, Schützen, Formen oder einfach nur so tragen.
Von 25 Teilnehmern kennen 83,33 % Rückenschmerzen, 63 % trugen eine falsche BH-Größe vor der Beratung, 82 % benötigen einen stützenden BH, weil sie große Brüste haben und sich nach eigenem Empfinden darin wohler fühlen. Bei 37 % sind die Rückenschmerzen nach der Beratung besser geworden und bei 11 % gingen sie ganz weg, 28 % hatten trotz falscher BH-Größe nie Rückenschmerzen.
Besonders gravierend wurde die Verbesserung von Körperhaltung und Tragekomfort von einer Mehrheit bewertet, 46 % der Frauen fühlen sich durch das Gewicht Ihrer Brüste belastet.
Das Forum der Busenfreundinnen hat eine eigene Statistik erhoben und sind der Frage nachgegangen, inwieweit Angebot und wirkliche Nachfrage von BH-Größen auseinandergehen.
Ich möchte das Ergebnis meiner Umfrage mal so kommentieren, wie es Jean-Denis Bouillon seine Studie in einem Interview kommentierte: „Meine Probandinnen sind Freiwillige, die nicht für die gesamte Weltbevölkerung repräsentativ sind.“
Und das Fazit meiner Recherche lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Kein BH ist besser als ein schlecht sitzender BH – außer beim Sport, da braucht das muskellose Bindegewebe dringend Halt.
... und wer gerne mehr von mir liest, der muss hier lang
Bildquelle (Außenseite): Paul Downey, flickr