Wie arbeitet eine Deutsche Cannabis-Agentur (DCA)? Sitzen alle MitarbeiterInnen frei nach dem Motto ‚morgens ein Joint, und der Tag ist dein Freund‘ zusammen? Vor sich kleine Tütchen mit dem 'Stoff' unterschiedlicher Provenienzen aus Anlieferungen der letzten Woche, um eine 'Tüte' zu inhalieren? Wie sonst könnte man Qualität, Konzentration und Wirksamkeit von Cannabis-Blüten wirklich beurteilen?
Sucht-Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer?
Aber wenn schon der Chef der "Sucht-Arbeitsgruppe der Bundesärztekammer", der Facharzt für Chirurgie, Kollege Dr. med. Josef Mischo, sagt: "Ich erwarte, dass wir deutlich bessere Daten darüber bekommen, wofür Cannabis tatsächlich sinnvoll ist und für welche Krankheiten dies weniger der Fall ist",
http://www.bundesaerztekammer.de/presse/pressemitteilungen/news-detail/mischo-begruesst-cannabis-auf-rezept/
bestätigt sich meine Vermutung, dass es insbesondere bei Cannabis-Blüten-Verordnungen bzw. Anwendungen nur um einen naiv-empiristischen, heuristisch-alternativen Heilversuch gehen kann, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten versagt haben.
Antiprofessionell und demotivierend
Wäre das aber nicht eine Bankrotterklärung für jegliche Art von Evidenz-basierter Medizin (EbM)? Ein Tiefschlag für die, welche mit hoher Professionalität und Engagement tagtäglich ihre Patientinnen und Patienten versorgen. Wir vertragsärztlichen Haus- und Familien- bzw. Fachärzte sind zu Leitlinien-gerechter, rationaler und Indikations-gebundener Diagnostik bzw. Therapie nach dem Wirtschaftlichkeits-Gebot im SGB V (§12 des 5. Sozialgesetzbuches) verpflichtet. Bei Wunsch-, Verdachts- und Fehlverordnungen riskieren wir Regress-Forderungen. Und üblicherweise verordnen wir keine Blüten, Essenzen, Abkochungen, Kräuterauszüge, Gewürzmischungen und schon gar keine Rauch- oder Räucherware, sondern standardisierte, pharmakologisch definierte Medikamente mit geprüftem und gesichertem Wirkstoffgehalt.
Warum gibt es neben einer DCA noch keine Extra-Agenturen
für
Das würde nämlich die regierungsamtliche Beschäftigung mit der Pflanzendroge Cannabis als Blüten ad absurdum führen: Deren Anwendung soll sogar zusätzlich von Sozialversicherungsfachangestellten der Krankenkassen gegenüber den ärztlichen Betäubungsmittelverordnungen geprüft und dann erst genehmigt werden.
Politik, Öffentlichkeit, Medien, Kassen-Bürokratie und Ärzte-Funktionäre?
Was machen eigentlich Politik, Öffentlichkeit, Medien, Krankenkassen-Bürokratie und unsere eigenen ärztlichen Spitzenfunktionäre? Entfachen unreflektiert einen Cannabis-Blüten-Hype, welcher selbst die sonst extrem träge Gesetzgebungs-Maschinerie des Deutschen Bundestags beflügelt. Bevor ansatzweise eine empirisch-experimentelle, wissenschaftliche Erforschung und Evaluation der Therapie und Palliation mit Cannabis-Präparaten etabliert wurde, gibt man zu völlig obskuren Bedingungen eine völlig undurchsichtige Cannabis-Blüten-Therapie frei, weil man die eigene, grandios gescheiterte Drogenpolitik und den irregeleitete Umgang mit Abhängigkeitskrankheiten damit nur allzu leicht kaschieren kann.
Cannabis-Blüten wirklich alternativlos?
Ob Cannabis-(Blüten) tatsächlich alternativlos bei Multipler Sklerose, Spinalstenose, chronischen Schmerzen, Appetitlosigkeit und Schwäche wegen AIDS, Krebs oder Alzheimer, bei Kachexie und präfinale Zuständen helfen können, ist bisher ohne Evidenz durch randomisierte, kontrollierte Doppelblind-Studie im RCT-Design geblieben. Das Gesetz erwähnt Schwerkranke, nennt aber keine genauen Krankheitsbilder. Daten zur Evidenz, wie sie von Aspirin über Johannis-Kraut, Neue Antikoagulanzien (NOAK) bis Zyprexa gleichermaßen gefordert und erbracht werden, fehlen.
Cannabis-Agentur und Bundesopiumstelle
Was die neue Cannabisagentur beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für Rechte und Pflichten bekommen soll, um den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland staatlich zu kontrollieren, bleibt schleierhaft. Auch was die Bundesopiumstelle in ihrer Begleiterhebung an weiteren Erkenntnissen über die Wirkung von Cannabis als Medizin gewinnen kann, verliert sich in einem blumigen Blütennebel: Etwa einen haptischen, olfaktorischen bzw. pharmakotherapeutischen Eindruck zu bekommen, um zu einer subjektiven Einschätzung der Wirksamkeit aktueller Cannabis-Blüten-Einlieferungen zu gelangen? Niemand behaupte, ich hätte mich mit der Problematik nicht aktiv in meiner Praxis und publizistisch auseinandergesetzt. U. a. mein Hinweis auf die korrekte Verordnung von medizinisch nutzbarem, standardisiertem Cannabis: http://news.doccheck.com/de/blog/post/2115-cannabis-mit-medizinischem-biss/
Freigabe von Cannabis-Blüten auf ärztlichem GKV-BTM-Kassenrezept am 10.3.2017!
Im Detail: "Mit einem kleinen Dosierlöffel könne der Patient die pulverisierten Blüten genau abmessen"?? Wer soll das denn kontrollieren? Etwa die Hausarztpraxen durch möglichst honorarfreies, "niedrigschwelliges Aufsuchen" und persönliche ärztliche Inaugenscheinnahme? Was ist denn der Unterschied zwischen: "Cannabis könne mittels elektrischer Verdampfer inhaliert oder nach einer wässrigen Abkochung als 'Tee' getrunken werden" und: "Das Rauchen als 'Joint' oder das Einbacken von Cannabis in Kekse seien für medizinische Zwecke völlig ungeeignet"? Das ist doch eine völlig weltfremd-abstruse Fehleinschätzung! Vgl. https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/73558/Medizinisches-Cannabis-kann-ab-heute-verordnet-werden
Pharmazeutisches Mittelalter?
Die aktuelle Freigabe von Cannabis-Blüten auf ärztlichem GKV-BTM-Kassenrezept mit Genehmigungsvorbehalt bzw. Genehmigungsverfahren durch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist nicht nur eine politische gewollte Bloßstellung medizinischer Kompetenz und Professionalität, sondern auch ein Rückschritt ins pharmazeutische Mittelalter: Damals waren Pflanzen-Auszüge aus Wurzeln, Blättern, Trieben, Blüten, Essenzen, Abkochungen, Kräuterauszüge, Gewürzmischungen mit stark schwankenden oder unkontrollierbaren Wirkungen in der Wunderheiler-Szene en vogue. Mit rationaler Pharmakotherapie und aufgeklärter, moderner Pharmazie hat gesundheitspolitisch dilettantisch freigegebener Cannabis-Blüten-Konsum auf Rezept absolut nichts mehr gemeinsam.
Cannabis-Blüten Freigabe, Zeitgeist und Strafbarkeit?
Wenn dieser "Stoff" angeblich so unglaublich positive Effekte bei Kranken haben soll, könnten ihn doch auch Gesunde ohne Restriktionen genießen! Dann entfielen Cannabis-Drogen-Kriminalität und unterschiedliche Pönalisierung von Konsum, Besitz und Handel. Es verstößt auch gegen den juristischen Gleichbehandlungs-Grundsatz, dass mit einer DCA eine staatlich geführte Cannabis-Handelsplattform geschaffen wird, während bereits dem Kleindealer Handschellen angelegt werden. Extrem Zeitgeist-verdächtig und medizinisch fragwürdig: Es gibt mittlerweile ein Füllhorn von Diagnosen, Krankheits- und Befindlichkeitsstörungen, bei denen u. a. Cannabis-Blüten geradezu inflationär als Allheilmittel angepriesen werden. Etablierte Indikationen für Cannabis-basierte Medikamente seien "chronische Schmerzen, Spastik bei multipler Sklerose, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen (?)".
Blühendes, breites therapeutisches Spektrum?
"Darüber hinaus wird allgemein angenommen, dass Cannabis ein sehr breites therapeutisches Spektrum hat, wie Kirsten Müller-Vahl und Franjo Grotenhermen im Deutschen Ärzteblatt Dtsch Arztebl 2017; 114(8): A-352 / B-306 / C-300 berichten". Ich zitiere die beiden letztgenannten Autoren wie folgt: "Bereits aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber darauf verzichtet hat, im Gesetz einzelne Indikationen aufzuführen, wird deutlich, dass bis heute unbekannt ist, bei welchen Erkrankungen oder Symptomen Cannabis indiziert ist. Aktuell besteht bei Cannabis(-Blüten) für keine einzige Indikation eine Zulassung. In den Jahren 2007 bis 2016 erhielten allerdings Patienten mit mehr als 50 verschiedenen Erkrankungen / Symptomen eine Ausnahmeerlaubnis vom BfArM für eine ärztlich begleitete Selbsttherapie mit Medizinal-Cannabis. Es wird daher allgemein angenommen, dass Cannabis ein sehr breites therapeutisches Spektrum hat."
Weitere positive Wirkungen?
"Als etablierte Indikationen für Cannabis-basierte Medikamente gelten chronische – insbesondere neuropathische – Schmerzen, Spastik bei MS, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen (?). Hinweise für positive Wirkungen reichen von neurologischen (Spastik und Schmerzen unterschiedlicher Ursachen, hyperkinetische Bewegungsstörungen), über dermatologische (Neurodermitis, Psoriasis, Akne inversa, Hyperhidrosis), ophthalmologische (Glaukom) und internistische (Arthritis, Colitis ulzerosa, Morbus Crohn) bis hin zu psychiatrischen Erkrankungen/Symptomen (Depressionen, Angststörungen, posttraumatische Belastungsstörung, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung [ADHS], Schlafstörungen)." http://m.aerzteblatt.de/print/186476.htm
Extreme Wirkstoff-Schwankungen
Wenn dann auch noch zugegeben werden muss: "Die Verschreibungshöchstmenge für Cannabis beträgt 100 000 mg (100 g) in 30 Tagen. Zwecks einfacherer Handhabbarkeit wurde die Höchstmenge unabhängig vom Gehalt einzelner Cannabinoide in der jeweiligen Cannabissorte festgelegt. Derzeit können Cannabisblüten mit einem Gehalt an THC – dem am stärksten psychotrop wirksamen – Cannabinoid von circa ein bis circa 22 % verordnet werden. Bei einer Verschreibung von 100 g Cannabis kann die verordnete Menge an THC daher zwischen 100 und 22 000 mg schwanken (!)", fragt man sich unwillkürlich, wer soll eigentlich hier wen, womit, warum und was bzw. auf welche Weise therapieren?
Derzeitige Rechts- und Verordnungslage weist Ärztinnen und Ärzte den "Schwarzen Peter" zu!
Ich zitiere eine aktuelle dpa-Meldung vom 15.3.2017: Die deutschen Krankenkassen bezweifeln, dass sie die Kosten von Cannabis-Therapien langfristig übernehmen. "Für den dauer- und regelhaften Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt der Nachweis der Wirksamkeit", sagte ein Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) der Deutschen Presse Agentur.
http://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/arzneimittelpolitik/article/931699/zweifel-wirksamkeit-krankenkassen-wehren-cannabis-rezept.html