Wir sitzen alle am Gate. Ich, weil ich ein paar Tage Urlaub in Wien verbingen werde. Doch jemand stört die Ruhe und mich bei meinen knusprigen Schnitzelfantasien: Eine Ärztin lässt alle Wartenden an ihrem Telefonat gynäkologischen Inhalts teilhaben.
High Noon an einem sehr großen deutschen Flughafen: Ich freue mich am Gate auf die bevorstehenden freien Tage. Gedankenverloren sitze ich neben meiner Freundin und male mir aus, wie wohl ein echtes Wiener Schnitzel in Wien schmecken wird. Herrlich.
Unfreiwillig Zeuge von Telefonaten in der Öffentlichkeit zu werden, gehört wohl zum Leben in einer Großstadt wie der morgendliche Berufsverkehr. Meistens kann man das ganz gut über sich ergehen lassen. Und manchmal ist Aufregen und Fremdschämen die intuitive Reaktion.
Schnitzelfantasien vs. Realität
Inmitten von Vorstellungen immer knuspriger werdender Panaden und dünnerer Schnitzel erreichen Schallwellen mein Ohr, die meinen Fokus jäh wieder ins Hier und Jetzt zurückholen. So ähnlich wie bei einem Verkehrsunfall, wenn es erst laut quietscht und daraufhin das unvermeidliche „Puff!“ den Aufprall signalisiert, übersetzt mein Gehirn:
„… jaaa, morgen sind es acht Punkte auf dem Plan. Frau Wieauchimmer wünscht 'ne BET mit Sentinel, das machen Sie mit Herrn Gynkollege zusammen. Dann haben wir …“
Moment! Ich schüttele mich kurz und sehe meine Freundin neben mir an, die die Augen verdreht. Ich sehe den Mann neben der telefonierenden Frau, etwa fünf Meter uns schräg gegenüber, der mit verschränkten Armen und Beinen neben seiner mutmaßlichen Ehefrau und Gynäkologin sitzt. Mürrisch guckt er drein. Ich glaube, er hatte sich auch auf Urlaub gefreut, als seine Gattin, das gesamte Gate beschallend, fortfährt:
„… dann ist da eine Frau Sowieso, die kriegt OP Schneidmichraus mit anschließender Chemo …“
Hm. Ich bin mir nicht sicher, wie das Datenschutzrechtler auffassen würden – mit Herzinfarkt in Folge von Tobsuchtsanfall oder nur gewöhnlicher Ohnmacht, aber für mich ist Fremdschämen und Wundern angesagt.
Manche können nicht loslassen
Dass Mediziner ihre Arbeit gerne nicht auf der Arbeit lassen, ist ja bekannt. Zumindest behaupten das Freunde von Medizinern, die zu Medizinerpartys kommen und sagen, dass die Themen des Abends oft recht einseitig medizinisch sind. Aber gut, irgendwann muss die Arbeit ja gemacht werden. Und dann doch besser noch am Gate als im Urlaub.
„… und wenn Sie noch Fragen haben, bin ich ja in drei Stunden wieder gelandet und Sie können sich melden.“
Ups. Vielleicht auch nicht.
Flughafen oder Speakers' Corner?
Vielleicht ist die Kollegin ja nicht auf den Weg in den Urlaub, sondern auf einen Kongress. Und wahrscheinlich sind ihre Kollegen sehr dankbar für die gute Erreichbarkeit.
Aber irgendwie sagt mir mein Gefühl, dass ich es trotzdem nicht gutheißen kann, die aktuellen medizinischen Geschichten meiner Patienten am Gate zu verkünden, als wäre ich Redner in einer „Speakers' Corner“. Wenn nicht aus Respekt vor den Patienten, dann doch wenigstens aus Rücksicht auf Menschen, die gerade friedlich von einem perfekten Schnitzel träumen möchten.
Die wichtigste Information zum Schluss: Wiener Schnitzel in Wien kann ich wirklich sehr empfehlen.