Mit einer Handvoll Zetteln und einem verzweifelten Gesichtsausdruck kommt eine ältere Dame zu uns in die Apotheke. Seit kurzem pflegt sie ihren Mann, der einen Schlaganfall hatte. Bei all den Verschreibungen hat sie den Überblick verloren und bittet uns deshalb um Hilfe.
Schwierig, aber anders als früher
Eine Dame um die 70, die ihren Mann jetzt nach einem Schlaganfall zuhause pflegen soll, kam zu uns. Sie war in der Vergangenheit schon immer mal recht anspruchsvoll, wurde aber in der letzten Zeit regelrecht schwierig, da sie die neue Lebenssituation stark belastet.
War beispielsweise etwas, das ihr Mann neu verschrieben bekam, nicht gleich auf Lager, neigte sie dazu, sich gleich lautstark zu beschweren. Sie war auch oft gereizt und ungeduldig im Umgang. Nun kam sie am Freitag zu uns, in der Hand diverse teilweise zerknüllte und angemarkerte Textseiten. „Sie müssen mir jetzt helfen, ich blicke da nicht mehr durch!“
Zu viele Zettel
Dabei sah sie keineswegs aggressiv und angriffslustig aus, sondern eher überfordert und verzweifelt. Lea und ich nahmen uns ihr an. Die diversen Zettel waren Medikationspläne, ein Entlassbrief und Beipackzettel. Nach und nach erklärte sie uns den Zusammenhang. Ein Medikationsplan stammte aus der Zeit VOR dem Schlaganfall ihres Mannes, einer aus der Zeit im Krankenhaus, dann der Entlassbrief zur Reha, ein weiterer Medikationsplan aus der Einrichtung dort, ein Brief an den Hausarzt, ein Einnahmeplan von diesem und viele viele Beipackzettel.
Unzählige Namen, ein Medikament
Lea und ich schauten uns an: Das bedeutete ein Stückchen Arbeit. Was alles extrem verkomplizierte, waren die vielen verschiedenen Namen der Generika. Woher sollte die arme Frau denn wissen, dass Novalgin (wie es im ersten Entlassbrief stand), Novaminsulfon (wie es während der Kur in einer Apotheke besorgt wurde) und Berlosin (wie es dann hier vom Hausarzt aufgeschrieben war) dasselbe ist? Das gleiche Spiel gab es dann mit Marcumar und Phenprocoumon. Das klingt noch nicht mal ähnlich.
Dann verstand sie auch nicht, warum der Hausarzt von den acht Medikamenten die ihr Mann im Krankenhaus bekam nur noch fünf aufgeschrieben hatte, und war schon wieder kurz davor, loszuschimpfen wie ein Rohrspatz. „Ich hab das doch gleich gesehen, dass da weniger Sachen draufstehen als er in der Reha bekommen hat! Aber der Arzt hat nur gesagt ‚er braucht nicht mehr‘. Der wollte doch nur wieder sparen weil das Budget knapp wird!“
Jeder verschreibt etwas anders
Ich erklärte ihr, dass der Hausarzt ja ein anderes Ziel verfolgt als die Ärzte im Krankenhaus. Diese müssen dafür sorgen, dass ihrem Mann im Akutfall so schnell geholfen wird, dass er bald wieder fit genug ist, um nach Hause zu kommen. Der Hausarzt sucht nun die Medikation aus, mit der ihr Mann nebenwirkungsarm und lange gut erträglich auskommen kann. Manche Arzneimittel bringen einen schnell wieder auf die Beine, schaden aber auf Dauer besonders in Kombination mit anderen Wirkstoffen zum Beispiel der Leber und den Nieren.
Sie beruhigte sich wieder etwas. Nachdem wir dann noch aufgrund der mitgebrachten Beipackzettel herausgefunden hatten, welche Packungen alle noch in der Wohnung waren, machten wir zwei Stapel. Einen für die alten Medikamente, die weggeworfen werden sollen, einen für den aktuellen Bedarf. Neben die Namen der Generika schrieben wir den Namen des Originals, wie er sich auf dem Medikationsplan befand. Die Dame verließ erleichtert die Apotheke.
Treueversprechen, die glücklich machen
Etwa eine halbe Stunde später kam sie wieder herein. Sie war zur Sicherheit doch noch einmal beim Hausarzt gewesen, um zu fragen ob die Erklärungen von uns zutreffend wären, und er hatte es bestätigt. Sie bedankte sich bei Lea und mir, und versicherte, dass sie unserer Apotheke „treu bleiben“ würde. „Sie haben es ja gerade nicht so leicht in der Apotheke, man hört da ja viel in den Medien. Ich glaube, die Politiker würden ganz anders denken, wenn sie auch so einen Fall zuhause hätten wie ich. Dankeschön!“ Und genau wegen solchen Augenblicken ist mein Beruf wunderbar!