Niemand will Hausarzt werden. Ist es heutzutage noch zeitgemäß, von einem jungen Arzt zu erwarten, sich hoch zu verschulden und für den Rest seines Arbeitslebens auf einen Ort festzulegen?
Uwe grüßt lässig zurück. Ein Unbekannter hat ihm gerade freundlich zugenickt und fünf Minuten zuvor war ein älterer Mann mit Rollator vorbeigeschluft und hat sogar seinen Hut gezogen.
Ich kann nur den Kopf schütteln. „Sag mal, bist du zufällig der Papst?‟
Uwe lächelt und nimmt einen tiefen Schluck aus seinem Bierglas. Wir sitzen auf dem Marktplatz vor Gepettos Restaurant und lassen das Leben an uns vorbeiziehen. Es ist ein herrlich-milder Frühlingsabend, alles blüht, die Sonne scheint, Vögel zwitschern und ein Kleinkind wackelt über das Pflaster, die Mama im Kinderwagen hinterher.
„Ich habe nun einmal den schönsten Job der Welt!‟
Zwei etwas größere Kinder rollern vorbei und auf der Bank vor dem Rathaus sitzt eine Gang von Jugendlichen und ist hauptsächlich damit beschäftigt, cool auszusehen. Und Uwe wird schon wieder gegrüßt.
„Hey, wenn es da etwas gibt, was ich nicht weiß, dann sag’s mir einfach!‟
Uwe lächelt immer noch und trinkt einen weiteren Schluck Bier.
„Ich habe nun einmal den schönsten Job der Welt!‟, sagt er.
Uwe ist Hausarzt. Offenbar mit Leib und Seele.
„Kannst du auch machen!‟, fügt er hinzu.
„Warum sollte ich?‟
„Kaiser Wilhelm sucht einen Nachfolger!‟
Der Kaiser unter den Hausärzten
Das ist nichts Neues. Dr. Wilhelm Kaiser – in der ganzen Stadt bekannt als Kaiser Wilhelm – hat mittlerweile längst sein siebzigstes Lebensjahr überschritten. Oder so ähnlich, ganz genau weiß das keiner. Weil er bislang keinen Nachfolger gefunden hat, steht er weiterhin jeden Tag von früh bis spät in der Praxis und ich habe ihn jede Woche mehrmals am Telefon, weil es für ihn eine Ehrensache ist, sich regelmäßig nach seinen Patienten zu erkundigen, wenn die stationär bei uns liegen.
Er will seine Patienten ja schließlich nicht im Stich lassen! Wenn er einen von ihnen ins Krankenhaus einweisen musste, hat er ihn persönlich begleitet. Das schafft er nun gesundheitlich nicht mehr, aber immerhin schickt er jedes Mal eine seiner Helferinnen mit. Kein anderer Hausarzt tut das, auch Uwe nicht.
Hausarzt zu werden hat seinen Preis
Er setzt das Bierglas ab und schaut mich an. „Du könntest seinen Laden übernehmen!‟
„Will ich aber nicht.‟
„Warum nicht?‟
Ich zucke mit den Schultern. Kalle hat es vor ein paar Monaten versucht. Unzählige Male hat er sich mit Dr. Kaiser getroffen, hat viele Gespräche geführt und sogar in der Praxis hospitiert, aber letzendlich sind sie sich nicht einig geworden.
„Kaiser Wilhelm verlangt einen ziemlich stolzen Preis!‟
Uwe lacht. „Ich weiß. Über 100.000 Euro will er haben. Und dazu muss man nochmal mindestens ebensoviel hineinstecken. Die Ausstattung ist total veraltet, man braucht eine komplett neue EDV, neue Geräte und dann dann muss man die Räumlichkeiten gründlich renovieren. Außerdem erwartet Dr. Kaiser, dass man sein Team komplett übernimmt, und wer weiß, ob die Damen so einfach mit einem neuen Arzt zurechtkommen werden. Und was den Patientenstamm betrifft ...‟
„Du bist ja gut informiert!‟
So viel Schulden, so viel Gebundenheit
„Normalerweise werden diese Informationen so vertraulich behandelt wie ein Staatsgeheimnis. Aber hin und wieder erfährt man ja das eine oder andere!‟
Gepetto serviert unsere Pizzen. Ich bestelle mir noch ein zweites Bier. Das kann ich mir leisten. Letzte Woche ist das Gehalt gekommen, mein Konto ist satt im Plus.
„Ich hätte kein gutes Gefühl dabei, 200.000 Euro Schulden an der Backe zu haben!‟, sage ich zwischen zwei Bissen.
Uwe lacht wieder. „Bei mir sind es sogar 250.000!‟
Um Himmelswillen! Fast wäre mir die Gabel aus der Hand gefallen. „Wirst Du die jemals wieder hereinbekommen?‟
Uwe antwortet nicht. Er lächelt. Auf der anderen Seite des Marktplatzes hat er schon wieder einen Bekannten entdeckt.
„Du bist doch auf Ewigkeiten an diesen Ort gebunden!‟, füge ich hinzu. „Was ist, wenn deine Frau Dich verlässt unddDu die Liebe deines Lebens in Timbuktu kennenlernst? Oder wenn du nach der Midlife-Crisis auf die Idee kommst, in Neuseeland Schafe züchten zu wollen?‟
Uwe schüttelt den Kopf. „Manchmal muss man halt Entscheidungen treffen!‟, sagt er.