Zur Diagnose der Appendizitis ist eine gründliche klinische Untersuchung und Anamnese wichtig. Doch wie sinnvoll ist es, Stuhlsäulen in Patienten verschieben zu wollen, um Schmerzen zu provozieren? Und was hat ein dänischer Ausnahmechirurg damit zu tun?
Als Studenten haben wir bald gelernt, die diversen Appendizitis-Zeichen rauf und runter zu beten und untersuchen zu können. McBurney- und Lanz-Punkt, Blumberg-Zeichen aka Kontralateraler-Loslass-Schmerz, das Sherren-Dreieck, Psoas- und Obturator-Zeichen, die Axillo-rektale Temperaturdifferenz, Erschütterungsschmerzen, Druckschmerz und Abwehrspannung im Unterbauch – und das berühmte Rovsing-Zeichen.
Rovsing, Klappe die 1.: „May my little method always be so well preserved!“
Dass es Chirurgen emotional eher wenig Schmerzen bereitet, anderen Menschen (insbesondere Patienten) Schmerzen zuzufügen, ist soweit bekannt und sollte ihnen angesichts ihrer Tätigkeit aus meiner Sicht auch zugestanden und meistens nachgesehen werden. Warum man allerdings eine Stuhlsäule von extern einmal durch einen schmerzhaften Bauch, entlang des vermuteten Verlaufs des Colons, noch weiter in die bereits durch einen einfachen Druck als schmerzhaft bekannte Ecke schieben sollte, hat sich mir noch nie erschlossen.
Welchen Sinn es hat, ein von Perforation bedrohtes Organ potenziell unter noch mehr Spannung zu setzen und Schmerzen, die sich vorher schon feststellen ließen, noch weiter zu verstärken, das konnte mir noch nie jemand erklären. Aber es gab ja kräftig Punkte bei jeder praktischen Prüfung (OSCE)!
Potenziell, weil ich mir immer noch schwer vorstellen kann, dass es mir tatsächlich gelingen würde, jemandem seine Stuhlsäule durch die unter Abwehrspannung stehende Bauchdecke zurück in den Punkt seines stärksten Schmerzes zu schieben.
Rovsing, Klappe die 2.: Die Wissenschaft
Nun, da sich das Studium dem Ende neigt und ich für meinen Pädiatrie-OSCE lerne, stolpere ich schon wieder über dieses Zeichen. So mysteriös wie Roswell erscheint mir Rovsing, dass ich zum Äußersten schreite, mich an meinen Evidence based medicine-Kurs erinnere und PubMed beehre.
Acht passende Artikel finden sich bei der Suche nach „Rovsing“, vier davon über den Chirurgen selbst. Dazu später mehr. Die Durchführung wird in der Literatur und Praxis unterschiedlich beschrieben und gelehrt. Was im Allgemeinen zu dem Konsens führt, dass das Rovsing-Zeichen neu und einheitlich evaluiert werden sollte. Eine pädiatrische Studie kommt 2007 zu dem Schluss, dass die meisten der oben genannten Zeichen eine niedrige Spezifität (zusammen gefasst < 40 %) haben, aber sensitiv (Rovsing ca. 90 %) sind. Davey schreibt 1956 im British Medical Journal dazu:
“It is considered that there are no grounds for Rovsing’s statement that the sign is of help in differentiating between inflammation of the appendix or caecum from other lesions causing inflammation in the right iliac fossa.”
Auch Smith kommt 1965 zu dem Ergebnis, dass „[…] special tests such as Rovsing’s sign, psoas and obturator tests and Sherren’s test are not helpful and medical students would probably be better employed learning other things.” Das ist, nebenbei bemerkt, mein Lieblingszitat Nr. 2 beim Schreiben dieses Artikels geworden.
Rovsing, Klappe die 3.: Ich ziehe meinen Hut
Wer war Rovsing überhaupt? Der 1862 geborene und 1927 verstorbene Arzt beendete sein Medizinstudium mit 23 Jahren und wurde zu einem Pionier der (urologischen) Chirurgie. Er veröffentlichte über 200 Publikationen, gründete die Dansk Kirurgisk Selskap (1908), die Dänischen Chirurgengesellschaft und war bei Kollegen und Angestellten äußerst beliebt.
Ein Kollege wird zum Tod von Rovsing im British Medical Journal wie folgt zitiert:
„In his relations with assistents, nurses, and the rest of his staff he approached the ideal. He included us all in his work, made us participate in it, and was never afraid to let us feel that he appreciated the help that was given him. And so he made the great machinery work without friction.”
Das ist mein Lieblingszitat Nr. 1.
Wie schade, dass von einem großen Mann und Arzt bei Studenten nur ein umstrittenes klinisches Zeichen bleibt. Ich hoffe, seine Person und seinen als sehr humorvoll beschriebenen Charakter mit diesem Artikel rehabilitiert zu haben. Er könnte aktuellen und zukünftigen Ärzten in leitender Position ein Vorbild sein.
Quellen:
Niels Thorkild Rovsing: The Surgeon Behind the Sign K. Hognason und K. Swan; The American Surgeon; 2014
The Presentation of Appendicitis in Preadolescent Children. Colvin et al. Pediatric Emergency Care. 23(12):849-855, December 2007.
Rovsing’s Sign WW. Davey; British Medical Journal; 1956
The Diagnosis of Appendicitis PH. Smith; Postgraduate Medical Journal; 1965
Niels Thorkild RovsingBritish Medical Journal, doi: 10.1136/bmj.1.3448.265 ; 1927
[Surgical humour at Rigshospitalet] M. Andreassen; Dansk Medicinhistorisk Arbog; 1999