Lange Wartezeiten aufgrund überfüllter Notaufnahmen sind nach wie vor ein großes Problem. Jens Spahn erhielt am Montag ein Gutachten mit Lösungsideen: Dringende Fragen sollen künftig telefonisch geklärt werden. Wer mit Schnupfen die Notaufnahme blockiert, zahlt Strafgeld.
Am Montag erhielt Jens Spahn eine Liste mit Vorschlägen vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR). Es ist ein Gutachten zur bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung. Eines der Kernthemen ist die Notfallversorgung. „Trotz vielfältiger Reformgesetze gibt es weiterhin – nebeneinander – Über- , Unter- und Fehlversorgung im deutschen Gesundheitssystem. Wir empfehlen, hier mit einem Bündel von Maßnahmen gegenzusteuern,“ sagt der Vorsitzende des Sachverständigenrats, Prof. Ferdinand Gerlach in der Pressemitteilung des SVR.
Um die Situation an Kliniken zu verbessern, gab es bereits im Frühling letzten Jahres eine Neuregelung des Notdiensthonorars, die seit 1. April 2017 in Kraft ist. „Der Beschluss basiert auf einer Vorgabe des Gesetzgebers, Notfallleistungen nach dem Schweregrad zu differenzieren,“ berichtete der WDR im März 2017. Seitdem entscheidet der Notaufnahmearzt, wer ein Notfall ist und wer nicht. Dafür erhält jede Klinik pro Patient eine „Abklärungspausschale“ von 4,74 Euro. Trotzdem sind Kliniken nach wie vor überfüllt und es kommt zu langen Wartezeiten für Patienten. Denn ein grundsätzliches Problem bleibt bestehen: Viele dieser Patienten sind zur falschen Zeit am falschen Ort, weil sie die Notaufnahme auch dann aufsuchen, wenn ein Besuch beim Hausarzt ausreichen würde.
Einen großen Teil medizinischer Fragen von Patienten könnte durch einen Anruf beim Ärztlichen Bereitschaftsdienst unter der Rufnummer 116 117 beantwortet werden. Diese wird allerdings relativ selten genutzt. In diesem Zusammenhang ist nicht ganz klar, ob Patienten einem Telefonat gegenüber abgeneigt sind und den persönlichen Kontakt mit einem Arzt bevorzugen oder ob sie schlicht nicht darüber Bescheid wissen, dass es diese Möglichkeit überhaupt gibt. Wie eine repräsentative bundesweite Studie der Techniker Krankenkasse (TK) zeigt (wir berichteten im Februar), ist der Bekannheitsgrad der unterschiedlichen Services sehr unterschiedlich: Notaufnahmen und der Notruf stehen mit 98 und 97 Prozent ganz oben auf der Liste, die 116 117 ist mit 62 Prozent weit weniger Menschen ein Begriff. Wenig überraschend sind auch folgende Zahlen: Nur 61 Prozent aller Fälle stuften Ärzte in der Notaufnahme als dringlich ein, bei 39 Prozent gab es Entwarnung. In Zukunft sollen viele Fragen deshalb bereits am Telefon geklärt werden, in Zweifelsfällen wird ein Arzt zugeschaltet, erklärte Gerlach im Juni in einem Gespräch mit Spiegel Online. Nur wenige kennen den ärztlichen Bereitschaftsdienst © TK
Der konkrete Vorschlag ist ein Zwei-Stufen-System, das am Montag in der Tagesschau wie folgt erklärt wurde: „Über eine bundesweit einheitliche Notrufnummer können Patienten ihre Symptome schildern und werden von Ärzten mit ersten Tipps versorgt. Damit könnte schon bis zu 30 Prozent geholfen werden, schätzen die Experten. Alle anderen werden in ein neues integriertes Notfallzentrum am Krankenhaus vermittelt. Dort wird entschieden, wie es mit den Patienten weitergeht.“ Sture Patienten werden bestraft, wenn es nach dem Sachverständigenrat geht: „Wer nicht mitmacht, der muss zahlen. Wer sich nicht an die Leitstelle wendet, sondern direkt zum Facharzt geht, soll eine Kontaktgebühr zahlen, schlagen die Gutachter vor. Dabei sollen Krankenhäuser bestimmte Behandlungsmethoden anbieten, damit sie noch bei der Notfallversorgung mitmachen dürfen. Neben einem Notfalldienst für Kinder soll es auch Augenärzte für Notfälle und einen psychiatrischen Dienst geben,“ heißt es im Beitrag der ARD.
Über die Details wird noch beratschlagt, die Ideen wurden schon im Koalitionsvertrag angestoßen. „Wir brauchen eine bessere Vernetzung und Zusammenarbeit im Gesundheitswesen,“ betont Gesundheitsminister Jens Spahn in der Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums vom 2. Juli. Und weiter: „Das Gutachten zeigt: Gerade die Notfallversorgung müssen wir auf neue Füße stellen. Deshalb wollen wir ambulante und stationäre Versorgung künftig ‚an einem Tresen‘ organisieren. Gemeinsame Notfallleitstellen und Integrierte Notfallzentren sind hier der richtige Weg. Ich freue mich auf den politischen und fachlichen Austausch, der die Empfehlungen des Sachverständigenrates aufgreift.“ Eine Schwierigkeit könnte die Umgewöhnung der Patienten werden. Sie künftig dazu zu bringen, die Notfallrufnummer zu wählen anstatt eine Klinik aufzusuchen, wird eine organisatorische Herausforderung. Am 26. September 2018 findet ein Symposium statt. Dort wird der Sachverständigenrat die Ergebnisse des Gutachtens präsentieren.