In Zeiten sich ausbreitender Antibiotikaresistenzen mahnen Experten weltweit, auf den unbedarften Gebrauch von Antibiotika, wo immer möglich, zu verzichten. Zweifelsohne ist die Idee, Antibiotika bei Rückenschmerzen oder in der Psychotherapie anzuwenden, wissenschaftlich interessant. Doch überwiegt ein möglicher Nutzen tatsächlich die bekannten Risiken? Wohl kaum.
Eine posttraumatische Belastungsstörung geht auf Erfahrungen mit extremer körperlicher Gewalt, Krieg oder schweren Naturkatastrophen einher. Gemäß ihrer Ursachen wird sie in der Regel mithilfe von Psychotherapie behandelt. Nicht immer jedoch lassen sich die wiederkehrenden Albträume und plötzlich einschießenden Erinnerungen auf diese Art erfolgreich behandeln.
Eine aktuelle Studie zeigte kürzlich, dass ein Antibiotikum als sinnvolle Ergänzung dienen könnte. In einem Versuch wurde Doxycyclin an 80 Personen getestet und soll deren negative Erinnerungen erfolgreich abgeschwächt haben.
Seit langem suchen Forscher weltweit nach einem möglichst einfachen Weg, das Traumagedächtnis medikamentös zu beeinflussen, bestenfalls zu löschen. Im Tiermodell erprobte Möglichkeiten waren beim Menschen allerdings bisher nicht anwendbar oder wirkten nicht.
Doxycyclin – der Alleskönner?
Das Antibiotikum Doxycyclin gehört zu den Breitbandantibiotika aus der Gruppe der Tetracycline. Es wird in Deutschland neben den Penicillinen am häufigsten verordnet, da es gegen eine Vielzahl von Erregern wirksam ist. Jedoch werden gerade auch bei den Enterokokken und bei Escherichia coli zunehmend Resistenzbildungen und Unempfindlichkeiten gegen dieses Medikament beobachtet.
Die Studie zeigte nun zusätzlich, dass Doxycyclin die Gedächtnisbildung hemmen kann, weil der Wirkstoff ein dafür wichtiges Enzyms blockiert. Die Behandlung mit Doxycyclin wirke sich in der Folge auf traumatische Erinnerungen aus, so die Forscher.
Das Antibiotikum Doxycyclin hemmt in erster Linie die Aktivität der Metalloproteinasen, die neben vielen anderen Prozessen im Körper ebenso an der Gedächtnisbildung beteiligt zu sein scheinen.
Präventive Gedächtniskontrolle
Insgesamt 80 Probanden wurden für dieses Experiment in eine Behandlungs- und eine Kontrollgruppe eingeteilt. Sie erhielten leicht schmerzhafte elektrische Reize und lernten, diese mit einer spezifischen Farbe zu verknüpfen. Die Teilnehme in der Behandlungsgruppe bekamen zuvor 200 mg Doxycyclin, während die Kontrollgruppe ein Placebo erhielt.
Sieben Tage später zeigten die Probanden der Kontrollgruppe eine verstärkte Schreckreaktion, wenn sie die entsprechende Farbe sahen. In der Behandlungsgruppe waren solche Schreckreaktionen im Vergleich zur Kontrollgruppe hingegen um rund zwei Drittel schwächer. Die Studienautoren interpretieren dieses Ergebnis als ersten Beweis dafür, dass Doxycyclin das emotionale Gedächtnis abschwächt, wenn es vor einem potenziell negativen Ereignis eingenommen wird.
Jetzt wird es richtig bunt
Die Ergebnisse belegen zudem, dass Metalloproteinasen nicht nur als Werkzeuge im Labor verwendet werden können, sondern beim Menschen auch für die Gedächtnisbildung relevant sind. Diese Enzyme liefern laut Studienautor Dominik Bach wichtige Anknüpfungspunkte, um therapeutisch wirksame Substanzen zu entwickeln.
„Doch bereits mit dem heutigen Wissensstand könnte Doxycyclin wahrscheinlich angewendet werden, um vorhandene emotionale Erinnerungen zu dämpfen – wenn Patienten dies wünschten“, ergänzte Bach. Für eine derartige Behandlung würden existierende Traumaerinnerungen in einer Psychotherapie gezielt aktiviert und dann durch die Gabe von Doxycyclin abgeschwächt. „Derzeit planen wir, dieses kombinierte Therapiemodell bei gesunden Menschen anzuwenden, um es dann in der Klinik weiter zu erproben“, so Bach.
Sehr nachdenklich sollte aber die folgende Aussage der Forscher stimmen, nämlich, dass alle Tetracycline aufgrund ihrer Substanzklasse an Metalloproteinasen wirken und deshalb prinzipiell geeignete Therapieansätze bei posttraumatischen Belastungsstörungen bieten.
Das kann die Studie jedoch gar nicht in dieser Deutlichkeit postulieren, da das angewandte Modell einer pawlowschen Konditionierung nicht unbedingt gleichbedeutend mit einem postraumatischen Ereignis ist, das eben nicht auf eine allmähliche Gewöhnung zurückgeht.
Darüber hinaus erklären die Studienautoren selbst, dass bisher unklar ist, ob die Mechanismen, die zu einer Traumaerinnerung führen, dieselben sind, die in der Reaktivierung und Therapie eine Rolle spielen. In Anbetracht der gegenwärtigen doch ernsten Resistenzsituation wären zumindest weitere klärende Studien sowie ein sehr bedachter Umgang mit Antibiotika in der Psychotherapie anzuraten.
Antibiotika bei chronischen Rückenschmerzen
Beinahe zeitgleich machte eine weitere ungewöhnliche Anwendung von Antibiotika erneut von sich reden: Die dänische Forscherin Hanne Albert bekam für ihre Studie zur Behandlung von Rückenschmerzen mit Antibiotika kürzlich den Deutschen Schmerzpreis. Zumindest scheint mir hier der Zusammenhang von möglicher Ursache und der Therapie doch deutlich eingängiger als beim zuvor genannten Beispiel.
Zu den Hintergründen: In der Studie, die bereits 2013 veröffentlicht wurde, zeigte sich, dass etwa die Hälfte aller untersuchten Menschen mit chronischen Rückenbeschwerden im MRT Ödeme im Bereich des Markes aufwiesen. Überdurchschnittlich viele der entnommenen Gewebeproben wurden anschließend positiv auf Bakterien getestet – überwiegend handelte es sich dabei um Propionibacterium acnes, einen kommensalen Haut- und Mundkeim.
Über Verletzungen beim Zähneputzen gelangt das Bakterium wahrscheinlich ins Blut und weiter bis ins Innere der Bandscheiben. Selbst nach Ausheilen eines Bandscheibenvorfalles verbleiben die Erreger dann an Ort und Stelle und verursachen wiederkehrende Entzündungen und Schmerzen.
Amoxicillin für alle Patienten mit Rückenschmerzen?
In ihrer Studie behandelten die Forscher die 162 Studienteilnehmer über 100 Tage hinweg dreimal täglich mit 1000 mg Amoxicillin. Nach acht Wochen zeigten sich erste Effekte, die sogar über einen Nachbeobachtungszeitraum von über einem Jahr hinaus anhielten.
Sollten nun zukünftig alle Patienten mit Rückenbeschwerden Antibiotika erhalten? Natürlich nicht, so die Studienautoren. Allerdings profitieren solche mit ödematösen Veränderungen im Mark und einer nachgewiesenen Bakterienbeteiligung durchaus von dieser neuen Therapieoption.
Die Experten sind sich einig, dass diese vorgelegte Arbeit einen revolutionären Ansatz in der Schmerzbehandlung bei Rückenpatienten darstellt. Damit ließen sich zukünftig nicht nur die Leiden von Millionen von Menschen lindern, sondern auch Kosten einsparen, weil die Zahl der Krankschreibungen wegen chronischer Rückenschmerzen und die Frühverrentungen zurückgehen könnten.
Einschätzung und Fazit
Infektiologen wie Prof. Dr. med. Florian Wagenlehner aus Gießen sehen solche Ansätze aber durchaus differenzierter: „Die beiden hier zitierten Arbeiten zum Antibiotikaeinsatz bei Rückenbeschwerden und posttraumatischen Belastungsstörungen sind sicherlich sehr interessant. Durch die neuen diagnostischen Möglichkeiten des Mikrobioms finden sich ja auch immer mehr Bakterien bei den unterschiedlichsten Erkrankungen. Ob dabei jedoch immer eine Kausalität vorliegt, lässt sich daraus nicht ohne Weiteres ableiten. Zusammenfassend sollte man bei der Anwendung von Antibiotika hier sehr zurückhaltend sein.“
Unterstützt wird diese Empfehlung durch den Umstand, dass 70 Jahre Antibiotikaeinsatz auf Seiten vieler Ärzte und ihrer Patienten nicht dazu geführt haben, Antibiotika als starke Waffe exklusiv gegen wirklich gefährliche Krankheitserreger einzusetzen. Noch immer werden diese Medikamente zum Beispiel bei Erkältungserkrankungen verschrieben, ohne zuvor abgeklärt zu haben, ob eine bakterielle oder eine virale Infektion vorliegt – gegen letztere wirken Antibiotika natürlich überhaupt nicht.
Ebenso verschärfen Therapieabbrüche, eine unregelmäßige Einnahmekultur, Antibiotikarückstände in Abwässern und Antibiotika in der Tierproduktion die Resistenzsituation weiter. Die Lernkurve in Hinblick auf ein effektives Antibiotic Stewardship hat sowohl bei Medizinern als auch bei Patienten leider noch lange nicht das beruhigende Plateau erreicht. Ob solche zwar gutgemeinten, aber dennoch recht unkritisch geäußerten neuen Therapieansätze daran wirklich etwas ändern können, bleibt daher bestenfalls fraglich.
Quellen:
Blocking human fear memory with the matrix metalloproteinase inhibitor doxycycline Dominik R. Bach et al.; Nature Molecular Psychiatry, doi: 10.1038/ MP.2017.65; 2017
Antibiotic treatment in patients with chronic low back pain and vertebral bone edema (Modic type 1 changes): a double-blind randomized clinical controlled trial of efficacy Albert HB et al., European Spine J, doi: 22:697–707; 2013