Es dauert eine Weile, bis einem subtilere Phänomene in einer neuen Kultur auffallen. Und wenn sie einem dann aufgefallen sind, hat man sie noch lange nicht verstanden...
Mittlerweile habe ich mich ganz gut in die Praxis eingearbeitet. Das Computersystem nimmt meine Anweisungen entgegen, ich schaffe es, Patienten an Spezialisten zu überweisen und die Apotheke hat auch schon lange nicht mehr angerufen. Im Supermarkt und auf dem Weg zur Arbeit grüßen mich die Ladenbesitzer und die Patienten, und ich erkenne immer mehr Gesichter wieder. Aber auch wenn oberflächlich alles mittlerweile vertraut und normal wirkt, kommen immer wieder Momente, in denen mir bewusst wird, wie fremd ich bin. Nicht, weil ich auch nach fast sechs Monaten meinen Akzent noch nicht losgeworden bin, sondern weil mir viele gesellschaftliche Phänomene einfach Rätsel aufgeben. Wenn sie mir denn überhaupt auffallen.
Zum Beispiel merke ich, dass ich keinen Kontakt zu Maori bekomme. Laut unseres Computerprogramms bezeichnen sich 25% unserer Patienten als Maori und ich versuche, mich im Umgang anzupassen, auch wenn es mich aus irgendeinem Grund irritiert, dass die ethnische Zugehörigkeit in der Überschriftzeile der Patientenakte steht. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass meine Maori-Patienten mich nicht mögen oder irgendwie persönlich Anstoß an mir nehmen. Trotzdem bleibt der Kontakt reserviert, und ich bekomme den sehr bestimmten Eindruck, dass alles, was über das konkrete Problem, wegen dem der Patient in die Praxis gekommen ist, heraus geht, als Einmischung empfunden wird.
Das Thema ist in der Praxis schwierig: so gut wie alle Kollegen sind Pakeha, europäischstämmig. Und niemand möchte sich Vorurteile oder schlimmeres vorwerfen lassen. Trotzdem, die Fakten lassen sich nicht leugnen: die allgemeine Gesundheit der Maori ist deutlich schlechter als unter Pakeha. Und das, obwohl es von staatlicher Seite derart viele extra für Maori bezuschusste Gesundheitsprogramme gibt, dass unter Pakeha mancherorts leise über Übervorteilung gemurrt wird.
Auch in der Praxis ist der Trend sichtbar: wir erreichen deutlich weniger Maori mit unseren Präventionsprogrammen als Pakeha. Und ich, persönlich, weiß nicht, woran es liegt, dass sie nicht wahrgenommen werden. Aber auch ich bekomme mit, dass gerade unsere Maori-Patienten (natürlich nicht alle, aber ein Trend ist durchaus erkennbar) deutlich unzuverlässiger sind, was Folgeuntersuchungen und regelmäßige Checkups angeht. Wenigstens meine anfängliche Sorge, dass es an mir liegen könnte, hat sich nicht bestätigt, den Kollegen geht es genauso, und die Patienten scheinen kein Problem damit zu haben, mich für neue, akute Probleme wieder aufzusuchen.
Eine Kollegin hatte die vorsichtige Theorie aufgestellt, dass das "westliche" Konzept von Vorsorge einfach nicht in die Kultur der Maori passe. Gesundheit habe einfach nicht die Priorität, die sie in "unserer" Kultur habe.
Ich bin überrascht, dass, obwohl überdeutlich Wert auf "cultural awareness" gelegt wird, offenbar grundlegende Dinge Rätsel bleiben. Und es ärgert mich, dass mir niemand erklären kann (oder will), was denn nun das Problem ist.
Manchmal läuft man bei der Intergration offenbar einfach gegen die Wand, und bei manchen Wänden dauert es eine Weile, bis sie einem auffallen.