Die Anwendung von Wattestäbchens im Ohr verursacht mehr Notfallbehandlungen als gedacht. Auch ich habe schon einen Patienten behandelt, der sich bei der Reinigung schrecklich verletzte. Dabei ist das oft als eklig empfunden Ohrenschmalz eigentlich harmlos und nützlich.
Vor Kurzem gab es eine interessante Studie des Journal of Pediatrics, über die unter anderem auch im Spiegel berichtet wurde. Der Untersuchung zufolge, in der eine Datenbank in den USA ausgewertet wurde, begeben sich in den USA jedes Jahr ca. 12.500 Kinder unter 18 Jahren in ärztliche Notbehandlung, weil sie akut schlechter hörten, aus dem Ohr bluteten oder ein Fremdkörpergefühl verspürten. Und dies nach Eigenmanipulation oder im Rahmen eines Unfalls. In den meisten Fällen hätte die Benutzung eines Wattestäbchens dazu geführt.
Alles blitzblank, aber schmutzig im Ohr Vor allem ältere Damen beichten mir ganz verschämt, sie hätten es nicht geschafft, ihren Gehörgang zu reinigen. Sie sind mehr als akkurat gekleidet, die Haare liegen perfekt, als kämen sie von ihrem täglichen Friseurbesuch. In meiner Phantasie stelle ich mir ein Wohnzinmmer ohne Staub vor, Zeitschriften im rechten Winkel zur Tischkante. Alles ordentlich, aber in den Ohren fühlen sie sich schmutzig.
Der Gehörgang ist eine Eintrittspforte in den Körper. Zum Schutz vor äußeren Einflüssen besitzt er besondere Eigenschaften. Der innere Teil ist von Knochen und einer sehr dünnen Haut umgeben, die sehr empfindlich und gut durchblutet ist. Das Ende des Ganges bildet das Trommelfell, ein wasserdichter Abschluss. Leicht abgeknickt dazu dann der äußere knorpelige Anteil des Gehörganges. Er stellt sich gerade zum knöchernen Gehörgang, wenn man die Ohrmuschel nach hinten oben zieht. Er bewegt sich bei Bewegungen des Kiefers leicht mit. Dies kann man gut spüren, wenn man während des Kauens einen Finger ins Ohr steckt. Oft wird der Eingang noch durch Knorpel des cavum conchae leicht von dorsal eingeengt.
Dazu gibt es Haare, die wie im Naseneingang Partikel aufhalten können. Und das Ohrenschmalz: Er ist im Regelfall eine leicht klebrige bräunliche Masse, an der unterschiedliche Eindringlinge haften bleiben und unspezifisch Mikroorganismen abwehren kann. Er hat also seinen Sinn. Er wird ständig nachgebildet und sollte den Gehörgang nach außen verlassen.
Jetzt wird es pathologisch
Wenn er dann sichtbar in der Ohrmuschel liegt, löst er oft Ekel aus. Das hat er mit anderen Körperabsonderungen gemein, außer vielleicht der Tränen. Ein einfaches Abwischen mit dem Finger oder einem Waschlappen sollte reichen, dazu beim Duschen etwas klares Wasser ins Ohr laufen lassen, damit er feucht bleibt.
Und schon sind wir dort angekommen, wo Ohrenschmalz beginnt zu stören. Wenn man ihn sieht, wie gesagt wegwischen. Und wenn er nicht herauskommt? Dann kann es zu einem schalldichten Pfropf kommen, der das Hören plötzlich einschränkt. Durch seitlichen Druck auf den knorpeligen Gang lässt er sich oft noch zusammenschieben. Durch den Gehörgang kann eine eigene Spülung helfen.
Zu einer Abgangsstörung kann es kommen durch:
Und dann gibt es noch: Das Wattestäbchen
Ich gebe zu, dass in den allermeisten Fällen eine Reinigung des Ohres mit einem Wattestäbchen ohne Folgen bleibt. Aber man stochert blind herum. Es ist also keine Seltenheit, dass die Anwendung zu einer Verletzung oder unangenehmen Folgen führen kann. Hierzu muss nur das Ohrenschmalz immer weiter Richtung Trommelfell gedrückt werden, was zu einer Beeinträchtigung des Hörens bis hin zu Verletzungen der Gehörgangswand durch Hautablederungen – vor allem im Bereich des knöchernen Gehörgangs – und zum Zerbersten des Trommelfells und der Gehörknöchelchen führen kann.
In der oben erwähnten Veröffentlichung wurden noch schlimmere Verletzungen beschrieben. Das Stäbchen wurde dann durch Sturz oder Schlag auf das Ohr noch weiter ins Ohr gedrückt. Die Kinder hatten dann meist den Watteträger im Ohr belassen.
Mein Rat
Aus Deutschland gibt es keine Statistiken über Ohrverletzungen dieser Art. Aber sie kommen vor und wir sollten vorsichtig sein. Auf jeden Fall gehören Wattestäbchen nicht unbeaufsichtigt in die Hände von Kindern. Aber auch wir Erwachsenen sollten auf derartige Hilfsmittel verzichten und in Problemfällen lieber einen HNO-Arzt aufsuchen, der unter einem Ohrmikroskop den Gehörgang einsehen und eine schonende Reinigung mit Spülung, Kürette, Sauger oder Zängelchen vornehmen kann.
Den erwähnten älteren Damen mit Reinlichkeitsfimmel kann ich stets gut helfen, obwohl die entfernten Mengen oft nicht der Rede Wert sind. Aber es ist mir lieber, nur wenig zu entfernen, als Patienten, wie den aus meinem spektakulärsten Fall vor einigen Jahren, zu behandeln. Damals arbeitete ich noch im Krankenhaus: Während sich der junge Geschäftsmann noch schlaftrunken nach dem Duschen die nassen Ohren mit einem Wattestäbchen reinigte und trocknete, fiel seine Freundin, ebenso erst kurz nach dem Aufwachen, mit der Tür ins Badezimmer und rammte damit den Spieß durch das Trommelfell bis ins Innenohr. Natürlich nur ein Einzelfall in dieser Ausprägung.
Quelle:
Pediatric Cotton-Tip Applicator-Related Ear Injury Treated in United States Emergency Departments, 1990-2010 Zenith S. Ameen et al.; Journal of Pediatrics, doi: 10.1016/j.jpeds.2017.03.049; 2017