Überall im Körper übernehmen Stammzellen die Aufgabe, neues Gewebe zu bilden und damit auch jenseits der Kindheit für wichtigen Zellnachschub zu sorgen. Leider klappt das nicht immer und nicht in jedem Bereich des Organismus. Aus der Praxiserfahrung eines Physiotherapeuten muss ich sagen: Gelenkerkrankungen fordern immer ihren Tribut, denn der Gelenkknorpel kennt keinen Jungbrunnen.
Diese Beobachtung aus der Praxis wurde nun in einer Studie untermauert und hat mit einer Erklärung nun erstmals auch das Warum beleuchtet. Das ist zunächst wenig Trost für Betroffene, lässt aber langfristig neue Hoffnung aufkeimen. Das Mehr an Verständnis könnte für die Zukunft der Behandlung wegweisend werden.
Knorpel altern mit
Für die Übertragung von Bewegung ist ein Knorpel fest mit zwei Knochen verbunden, hat selbst aber dank Gelenkkopf und Gelenkpfanne seinen Spielraum. Es gibt eine Reibungsfläche, die mit der Zeit zu einem Abrieb der Substanz führt. Altersarthrose ist hier das Stichwort.
Aktuelle Studie greift auf Atomtests zurück
Zum Thema Atomtests kann man moralisch auf verschiedenen Standpunkten stehen, doch zumindest für die Medizin waren die Tests aus den 50ern und 60ern des letzten Jahrhunderts sehr nützlich. Denn die Strahlenbelastung damals machte die aktuelle Untersuchung überhaupt möglich.
In den rund zehn Jahren der damaligen Atomwaffentests wurde der Wert an C14 in der Atmosphäre der Erde stark erhöht. C14 ist ein radioaktives Kohlenstoff-Isotop und gelangt sowohl durch den Verzehr von Lebensmitteln als auch das bloße Atmen in den menschlichen Körper. Menschliches Gewebe, das nach dem Start der Tests 1955 neu entstand, enthält demnach mehr C14 als älteres Gewebe.
Was sagt der C14-Gehalt über den Gelenkknorpel?
Im Rahmen der Studie wurden 23 Freiwillige untersucht, die zwischen 16 Jahren und 78 Jahren alt waren. Davon litten 15 bereits an Arthrose. Bei allen Personen musste aus unterschiedlichen Gründen eine Knie-OP durchgeführt werden, bei der die Ärzte auch Gewebe aus dem Gelenk entfernten. Dieses Gewebe kam ins Labor und wurde auf seinen C14-Gehalt hin untersucht.
Dafür nutzten die Ärzte die Massenspektrometrie. Bei diesem Messverfahren kann sowohl von Molekülen als auch von Atomen die Masse bestimmt werden. Die Menge an C14 bei jedem Patienten ließ aufgrund der alten Atomwaffentests einen Rückschluss auf das Alter des Knorpels zu.
Regeneration? Leider Fehlanzeige
Ein Mensch, der zwischen 1955 und 1965 geboren wurde, hat mehr C14 im Körper. Doch wer vor dem Start der Atomwaffentests zur Welt kam, hat keine stärkere C14-Anreichung im Knorpelgewebe. Daraus lässt sich ableiten, dass nach dem Ende der Kindheit unser Knorpel nicht neu gebildet wird.
Sehr gut konnte man das anhand eines Teilnehmers sehen, der bereits 1935 geboren wurde. Er war entsprechend 20 Jahre alt, als die Atomwaffentests begannen. Hätte sich nach dem seinem 20. Geburtstag noch neuer Knorpel in seinem Knie gebildet, hätte man erhöhte C14-Werte gemessen. Doch dem war nicht so. Folglich hatte sein Körper nach der Teenagerzeit keinen neuen Knorpel ausgebildet. Mit anderen Worten: Was weg ist, ist weg.
Verlorene Kollagenfasern werden nicht ersetzt
Im Detail zeigte sich außerdem, dass der Grund für diesen Erneuerungsstopp im Kollagen des Knorpels zu finden ist: Bei jedem Knorpel nimmt Kollagen die Funktion eines Stützgerüstes ein. Nur dank der Kollagenfasern gibt es genügend Festigkeit im Knorpel. Dieses Bindegewebe hat jedoch keine regenerative Fähigkeit.
Soll heißen: Die Fasern bilden sich einmal aus und müssen dann bis zum Ende des Lebens ausreichen. Wer Fasern durch jahrelange Fehlbelastung oder einen Unfall einbüßt, kann nicht auf eine Neubildung der Kollagenfasern hoffen.
Wie nützt die Erkenntnis den Patienten?
Die Studienergebnisse sind nicht nur für Theoretiker spannend, sondern können der Entwicklung neuer Therapien dienen. Die Studie macht deutlich, warum es bei Arthrose wenig hilft, Knorpelstücke zu transplantieren. Sie allein bringen nichts, wenn sich keine neuen Kollagenfasern um sie herum bilden. Sinnvoller ist es dagegen, in Richtung Aufbau eines künstlichen Kollagen-Gerüsts zu forschen. Dafür könnte man Medikamente entwickeln, oder auf Möglichkeiten der Stammzellen-Stimulation zurückgreifen.
Eine bestehen Arthrose könnte eventuell gelindert werden, wenn verbleibendes Kollagen gezielt erhalten bleibt. Und wird künstliches Kollagen nachträglich in den Knorpel eingebracht, wäre sogar eine Besserung der Knorpelschädigungen denkbar.
Quelle:
Radiocarbon dating reveals minimal collagen turnover in both healthy and osteoarthritic human cartilage Katja M. Heinemeier et al.; Science Transnational Medicine, doi: 10.1126/scitranslmed.aad8335; 2016
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